Kommunale Rechtsabbieger

Deutscher Bundestag

Kontroverse: Darf die AfD rechtsextrem benannt werden?

Bei den Oppositionsparteien und in der Öffentlichkeit wird die AfD immer wieder als rechtspopulistisch oder rechtsextrem benannt. Die AfD selbst sieht sich nicht so und bezeichnet sich als demokratisch. Ein Fall aus Lüneburg von Inge Hannemann.

Kleinere Gruppen von Menschen stehen vor den breiten Türen der Lüneburger Gesamtschule. „Mal sehen, wie sich der Rat heute verhält“, sagt einer. „Es darf nicht durchgehen, dass die Rechten reden dürfen wie sie wollen, und die Linke das Wort entzogen bekommt“, ein anderer. Einige tragen die orangene Seenotrettungsweste der Vereinigung „Seebrücke“. „Wir sind hier parteiübergreifend, in einem Anliegen vereint, dass zivilgesellschaftlichen Charakter hat“, sagt der 24-jährige Marvin Jesse. Er trägt Jeans, eine dunkle Jacke und hat glatte hellblonde Haare. Er wirkt jung – so als hätte er gerade die Schule verlassen.

Es ist herbstlich und zuvor hatte es noch geregnet. Die Ratssitzung am 24. Oktober 2019 ist eigentlich nichts Besonderes, denn sie wird monatlich abgehalten. Und doch ist heute vieles anders. Vertreter des Netzwerkes gegen Rechts stehen vor dem Gebäude. Unter ihnen eine als „Ärztin“ verkleidete Frau mit weißem Kittel. Sie begrüßt lächelnd die Ankommenden mit einem Sehtest: „Auf dem rechten Auge blind“.„So einen Sehtest brauche ich nicht“, erwidert ungeduldig ein Politiker. Seine Schritte sind forsch und er schaut genervt zur „Ärztin“. Weitere Politikerinnen und Politiker gehen schnellen Schrittes an der „Augenarztpraxis“ vorbei. Vielleicht liegt es daran, dass auf der Tagesordnung ein brisanter Antrag steht. Die Ratsvorsitzende Christel John (CDU) soll abgesetzt werden. So wünscht sich das zumindest die Linke im Rat. Denn in der vergangenen Ratssitzung am 26. September 2019 war es zum Eklat gekommen: Der Linke Stadtrat Michèl Pauly hatte die AfD als rechtsextrem bezeichnet und wurde dafür mit Wortentzug durch die Ratsvorsitzende John sanktioniert.

Während vor der Aula die „Augenpraxis“ weitere Sehteste durchführt kommt Pauly durch die breite Eingangstür. Pauly wirkt angespannt als er die Gesamtschule betritt. Für einen Sehtest hat auch er keine Zeit. Vielleicht ist es aber auch seine Anspannung, die sich in seiner geraden, fast steifen Haltung ausdrückt als er in die Aula geht. Diese ist bereits so voll, dass die Besucherinnen und Besucher auf dem Boden Platz nehmen müssen. Das passiert sehr selten; trotz dass für rund 100 Besucher bestuhlt wurde. Alle Generationen sind vertreten.  Da sitzen Rentner neben Jugendlichen, Anzugträger neben zerrissenen Jeans und Schlapperpullis. Einzig allein neben den Sympathisanten der AfD möchte sich niemand setzen – außer sie selbst. Wie abgezählt bleibt in den zwei Reihen jeweils ein Stuhl zwischen rechten Sympathisanten und AfD-Gegnern leer. Es ist laut auf den Besucherstühlen. Gespräche untereinander und Lachen erfüllen den Raum, welche bis zum Vorraum zu hören sind. Inzwischen kommen auch die letzten Nachzügler: Die Ratsmitglieder. Sie fokussieren die kleinen, eher unscheinbaren Namensschilder, die auf den Tischen verteilt sind. Schnell wird sich vom Getränkebuffet noch ein Kaffee oder eine Flasche Wasser geholt. Vermutlich ahnt man schon, dass die heutige Sitzung lang wird.

Pauly hantiert währenddessen an seinem Platz mit seinen Papieren. Die schnellen Handbewegungen zeigen seine Nervosität und Anspannung. Ganz anders noch im Kurzinterview vor dem Beginn: „Wie soll man die AfD sonst bezeichnen, als extrem rechts stehend“, sagt Pauly voller Überzeugung. Er rückt keinen Millimeter davon ab, dass die AfD rechtsextrem ist. Und darum geht es heute: Darf die AfD als rechtsextrem benannt werden? Die Mehrheit des Rates empört sich zwar bei völkischen Reden durch die AfD-Ratsmitglieder und ihre Zwischenrufe übertönen dann stückweise die Rede eines AfD Mitglieds. Konsequenzen erfolgen durch die Ratsvorsitzende jedoch nicht. Das zumindest kritisiert die Linke.

Die AfD ist bei dieser Frage selbst gespalten. Gemäßigte AfD-Politiker, die sich selbst so bezeichnen, stellen sich gegen den rechtsnationalen Flügel des Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke. Sie weisen jede Zugehörigkeit zum rechtsnationalen Flügel von sich.

Es ist keine Eitelkeit von Pauly, dass er diese Frage, in Form eines Abberufungsantrags, einbringt. „Es ist eine grundsätzliche Frage, mit der sich der Stadtrat endlich beschäftigen müsse“, argumentiert Pauly. Damit steht er nicht alleine dar. Zumindest zeigen das Gerichtsverfahren und Entscheidungen aus den unterschiedlichsten Bundesländern.

Das hessische Landgericht Gießen urteilte bereits im April 2018, dass die AfD als rechtsextremistisch benannt werden darf. Diese Äußerung sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, so das Gericht. Geklagt hatte der Vorsitzende des Kreis-Ausländerbeirates. In dem Verfahren ging es um eine Äußerung in einer Rede, die er im August 2017 im Gießener Rathaus gehalten hatte. Die AfD hatte daraufhin Anträge eingereicht, dass der Vorsitzende des Kreis-Ausländerbeirates seine Wortwahl unterlassen sollte. Zwar brachte das Gerichtsurteil in diesem Fall Klarheit, dennoch tun sich viele Kommunalpolitikerinnen- und Politiker schwer im Umgang mit den rechtsextremen Provokateuren von der AfD – oder aber, sie sehen überhaupt kein Problem. ­­

Kommunalpolitiker mit Haltungsproblemen

Auf der kommunalen Ebene ist es bisher ein Randthema. Viele mögen denken, dass auf kommunaler Ebene höchstens über Baumschutzverordnungen, Tempo-30-Zonen und Bagatellen entschieden wird. Vielerorts werden die kommunalen Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber der AfD mit Sachorientierung oder Pragmatismus gerechtfertigt. Und das parteiübergreifend: Nach der Kommunalwahl 2014 bildeten Abgeordnete der Linken in Muldestausee in Sachsen-Anhalt eine vierköpfige Fraktion mit der AfD.

Im Gemeinderat von Gohrisch in Sachsen schloss ein parteiloser Abgeordneter, der durch ein grünes Ticket in den Gemeinderat eingezogen war, ein Bündnis mit CDU und AfD. Er war der Meinung, er könne mit diesem Bündnis einfach mehr durchsetzen.

Ähnlich in Sassnitz auf Rügen, wo der SPD-Stadtvertreter Norbert Benedict und seine Fraktion sieben gemeinsame Anträge mit der AfD-Fraktion einreichten. Der Fall beschäftigte den SPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern und kurz darauf auch die Bundesspitze der SPD. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil äußerte auf Twitter: „Keine Zusammenarbeit mit der AfD!“. Nur widerwillig gab die Sassnitzer SPD ihren Plan auf und zog die gemeinsame Antragstellung mit der AfD zurück. Zuvor hatte SPD-Stadtvertreter Benedict gegenüber dem NDR erklärt: „Wir sind hier vor Ort, und wir sprechen mit den Leuten. Warum sollen wir eine Entscheidung, die wir besten Wissens getätigt haben, warum sollen wir die jetzt umstoßen?“

Wie man sich als Bundesspitze von den kommunalen Schulterschlüssen seiner Partei mit der AfD abgrenzen kann, kann man sich von der CDU abschauen. Sie hat darin mittlerweile eine gewisse Routine entwickelt. Die Bundesspitze der CDU hangelte sich an der Hufeisentheorie entlang und grenzte sich immerzu nach links und rechts ab: „Die CDU lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit mit Linkspartei wie mit AfD ab. Der Beschluss ist für Mitglieder und Verbände bindend. Wo dagegen verstoßen wird, sind zuständige Gliederungen aufgerufen, Maßnahmen nach Statut und Parteiengesetz durchzusetzen“, hieß es zum Beispiel auf Twitter. Und trotzdem werden Bündnisse, um zusätzliche Sitze in Ausschüssen zu erhalten, eingegangen:

Im Juni dieses Jahres war die CDU-Fraktion in Penzlin (Mecklenburg-Vorpommern) eine sogenannte „Zählgemeinschaft“ mit der AfD eingegangen, um sich damit zusätzliche Sitze in Ausschüssen einzuheimsen.

So drängt sich der Verdacht auf, dass in der Kommunalpolitik schon längst die Erosion einer von den Parteispitzen diktierten Distanzierung begonnen hat.

Auch im Bundestag erfolgen keine Sanktionen

Eine Anfrage an die Linken Politikerin Martina Renner im Bundestag ergab: Es wird gerügt, Ordnungsrufe werden ausgeteilt, härtere Sanktionen erfolgen aber nicht. Eine Diskussion durch das Präsidium erfolgt dann aber lieber hinter verschlossenen Türen.

Auf die Kommunen kommt es an

Doch dass die AfD nun in kommunalen Parlamenten sitzt, ist keine Bagatelle. Ihr langfristiger Erfolg wird auch von der Verankerung auf kommunaler Ebene abhängen. Ist die AfD in der Lage, jenseits der medienwirksamen Tabubrecher und Hetzer wie Björn Höcke und Alexander Gauland ihre rechtsextreme Agenda in die Gemeinden zu tragen? Schafft sie es, Bündnisse zu schließen, die auf Landes-oder Bundesebene derzeit noch unmöglich scheinen? Besonders in den kleinen Gemeinden, wo das AfD-Ratsmitglied gleichzeitig Nachbar, Arbeitskollege oder Vereinsmitglied ist, scheint es schwer zu fallen zu sagen, was ist: „Die AfD ist rechtsextrem“. So klar sagt es zumindest Michél Pauly aus Lüneburg an besagtem Tag Ende Oktober. Er erhält viel Applaus von den Zuschauern. Erlaubt ist das Klatschen allerding nach der Geschäftsordnung nicht und die mahnenden Worte des kommissarischen Ratsvorsitzenden folgen sofort. Wer zukünftig klatscht darf die Aula verlassen.

Bereits nach den einleitenden Worten des Oberbürgermeisters Ulrich Mädge (SPD) und der betroffenen Ratsvorsitzenden John ist die Stimmung in der Aula konzentriert und angespannt. Nochmals wird schnell ein Sitzplatz bei den Zuschauern getauscht. Die 43 Ratsmitglieder nippen an ihrem Wasser oder Kaffee und legen ihre Reden parat. Pauly meldet sich als Antragssteller zu Wort: „Solch ein Wortentzug in einer öffentlichen Sitzung ist mir noch nie vorgekommen. Solch ein offener Rechtsbruch, und darüber wird noch zu reden sein, ist noch nicht vorgekommen“, greift er den Grund des eigenen Abberufungsantrag der Ratspräsidentin auf. Pauly warnt weiter über die Gefahr und der Rats-Passivität, wenn die Augen vor einer rechtsextremen Partei verschlossen werde. Am Ende seiner Rede wünscht sich Pauly, dass der Ratsvorsitz zukünftig neutral und überparteilich geführt wird und überall selbstverständlich gesagt werden darf, dass die AfD eine rechtsextreme Partei ist. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer Mencke will heute nicht über die AfD reden. Lieber beschreibt er Pauly als biertrinkend im Kurpark. Die Zuschauer honorieren diesen Kontext mit einem lauten Lachen. Und Mencke unterstreicht seinen Satz mit: „Das ist nämlich verboten.“ Aus dem vorherigen Lachen wird nun ein mehrheitliches Kopfschütteln bei den Zuschauern. Nur die Anhänger der AfD bleiben ruhig. Ganz anders die SPD: „Die AfD ist eine rechtsextreme Partei mit zahlreichen rechtsextremistischen Funktionsträgern“, mahnt Philipp Meyn an. Inzwischen wird auf der Tribüne still gewunken statt applaudiert. Einen Rausschmiss möchte man lieber nicht riskieren, denn Klatschen ist ja verboten. Dafür ertönt ein Maulen und Raunen bei den AfD-Anhängern. Auch nach über einer Stunde Diskussion steckt man noch immer bei der Frage fest, ob der Wortentzug für Pauly gerechtfertigt war. Nur noch am Rande wird über die Abberufung der Ratsvorsitzenden John geredet. Vielmehr wird versucht, die Rede von Pauly in der letzten Ratssitzung zu beurteilen und fürsorgliche Empfehlungen auszusprechen.

So geht das noch lange weiter, doch es wird nicht langweilig, denn auf den Zuschauerplätzen wartet man auf weitere Erziehungstipps. Und die folgen prompt. So die FDP Vertreterin Birte Schellmann: „Muss man bei Fehlern immer gleich mit dem Äußersten drohen und mit Kanonen auf Spatzen schießen? Da vergiftet die Atmosphäre im Rat noch mehr.“

Aber auch die Erziehungstipps finden mal ein Ende. Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) ruft zur Abstimmung auf. Das Ergebnis überrascht nicht. Der Abberufungsantrag der Linken wurde von allen Parteien, außer den Linken selbst, abgelehnt.

Doch trotz dem Hin und Her, ob die AfD nun als rechtsextrem bezeichnet werden darf oder nicht, war es eine Ratssitzung nach Oberbürgermeister Mädge und Ratsvorsitzenden John Geschmack: Sie bleibt im Amt.

Manche Zuschauer nutzen den Übergang zum  nächsten Tagesordnungspunkt für eine Zigarettenpause oder verlassen die Ratssitzung endgültig. Inzwischen hat die „Augenarztpraxis“ geschlossen. Die „Ärztin“ tauscht ihren Arztkittel gegen eine graue Herbstjacke ein. Es wird nochmals kurz auf die Aussagen der Ratsmitglieder eingegangen. Lacher über den biertrinkenden Pauly klingen von außen in den Vorraum. Man ist sich einig: es wurde nicht erwartet, dass dem Abberufungsantrag zugestimmt wird. Trotzdem ist man zufrieden, da nun endlich der Rechtsextremismus Thema im Rat war. Und was denkt Pauly über die Sitzung? Noch am selben Abend reagiert er mit einer Pressmitteilung. Pauly freut sich zwar über die Positionierung der anderen Fraktionen, aber ergänzt: „Im Kampf gegen rechts war der Rat bisher Teil des Problems. Der Rat hat sich im Kampf gegen Rechts wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert.“ 

Die Frage, ob die AfD rechtsextrem ist, muss nun in einer Feststellungsklage von Pauly beim Lüneburger Verwaltungsgericht geklärt werden. Parallel dazu hat die AfD angedroht rechtlich gegen Pauly’s Wortäußerung vorzugehen.

Diese Reportage wurde zuvor in „analyse & kritik“ Ausgabe: 654 vom 12.11.2019 veröffentlicht.



Kategorien:Politik

Schlagwörter:, ,