Rezension: Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen

Buchtitel: Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen

Rezension 

Nocun, Katharina; Lamberty Pia: Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln: Quadriga-Verlag 2020

Covid-19 wurde in chinesischen Geheimlaboren gezüchtet, wir werden von der „Lügenpresse“ manipuliert, Deutschland ist insgeheim eine Firma, die von dunklen Mächten gelenkt werde.

Verschwörungstheorien, die den Klimawandel leugnen oder die Kondensstreifen am Himmel in Frage stellen, sind schon lange keine Randphänome mehr. Sie verbreiten sich im Netz wie ein Lauffeuer und sind immer mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen. So schreiben es die Autorinnen Kathrina Nocun und Pia Lamberty in ihrem kürzlich erschienen Buch.

Nocun wurde 1986 in Polen geboren. Sie studierte Politik, Wirtschaft an der Universität Münster sowie den internationalen Studiengang Politics, Economics und Philosophy in Hamburg. Als Bürgerrechtlerin und Netzaktivistin leitete sie bundesweite Kampagnen u.a. für die Bürgerbewegung Campact e.V., den Verbraucherzentrale Bundesverband, Mehr Demokratie e.V. und die Free Software Foundation Europe e.V.. In ihren Arbeiten beschäftigt sich Nocun u.a. mit der Vorratsdatenspeicherung und Datenschutz. In ihrem Erstwerk „Die Daten, die ich rief – Wissen Konzerne alles über uns und sind wir wirklich so berechenbar? (2018)“ erläutert sie anschaulich, wie Großkonzerne unsere Daten nutzen, um Millionen-Umsätze zu generieren.

Lamberty ist Psychologin und forscht zur Psychologie hinter dem Glauben von Verschwörungstheorien und deren Konsequenzen. Sie studierte neben Psychologie, Philosophie, Literaturwissenschaften auch Komparatistik und Kulturpoetik. Ihre Promotion zu Verschwörungstheorien absolviert sie derzeit an der JGU Mainz bei Prof. Dr. Roland Imhoff. Weitere Arbeiten von ihr sind Publikationen in Fachzeitschriften und u.a. Buchkapiteln: „Mitreißende Wahrheiten: Verschwörungsmythen als Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ (2019, Rees, J. & Lamberty, P.)erschienen.

Nocun und Lamberty greifen zu Beginn in ihrem Buch den Weg von Verschwörungserzählungen zum Verschwörungsmythos bis hin zur Verschwörungsideologie auf. Sie differenzieren und machen deutlich, dass bei den Debatten um Verschwörungserzählungen häufig verschiedene Begriffe durcheinandergeworfen werden. Dabei nehmen sie Abstand vom Begriff „Verschwörungstheorien“:

„da man hierbei nicht von Theorien im wissenschaftlichen Sinn sprechen kann. Eine Theorie ist eine wissenschaftlich nachprüfbare Annahme über die Welt. Wenn sich diese als falsch herausstellt, wird sie auch wieder verworfen (S. 21)“.

Stattdessen stellen sie dar, dass eine Verschwörungserzählung sich eben dadurch auszeichnet, dass sie sich der Nachprüfbarkeit entzieht und eine Grundvoraussetzung für ein geschlossenes Weltbild ist. So ist es nicht verwunderlich, dass sie in ihrem Werk zwischen den einzelnen Begriffen unterscheiden und diese zunächst – auch unter psychologischer Sicht – erläutern und anhand von Beispielen plakatieren. Damit beginnt das Buch indem psychologische Grundbegriffe wie Kontrollverlust, Langeweile, Paranoia und Irrationalität in Verbindung mit Verschwörungserzählungen gegenübergestellt werden. In ihren Faktenchecks greifen sie die gängigsten Mythen auf und überprüfen deren Wahrheitsgehalt, wobei auch hier die Psychologie und Fachleute zu Wort kommen. Dementsprechend ist zu lesen, dass Verschwörungsideologien oft als krank abgetan werden; diese Perspektive jedoch nicht immer richtig ist. Nocun und Lamberty sehen eine Unterscheidung zwischen dem Glauben an Verschwörungserzählungen und einer Paranoia. Zwar überschneiden sich beide Begriffe teilweise, sind aber in ihrem Umfang sowohl in Bezug auf die wahrgenommene Bedrohung als auch auf das „Ziel“ deutlich zu unterscheiden (S.35).

Dass der Glaube an Verschwörungserzählungen sich quer durch die Gesellschaft zieht und sich nicht nur auf Chemtrails oder den Anschlägen vom 11. September 2001 bezieht, wird umfangreich dargestellt. Dabei bewegen sich die Autorinnen in den Terrains der Politik, bei den Klimadebatten, Religion, Medizin und in der Pharmaindustrie. Sie blicken auf Begebenheiten zurück, orientieren sich an Beispielen aus anderen Ländern oder nehmen aktuelle Geschehen auf. So wurde entsprechend ein Kapitel Corona und Covid-19 gewidmet. Man erfährt, dass Rechtsextreme und Rechtspopulisten Verschwörungstheorien verwenden, um so über eine „Querfront-Strategie“ sich den klassischen linken Themen wie Frieden, Ökologie oder der Kapitalismuskritik anzunähern. Rechts und links vermischen sich so, ohne dass vielen bewusst ist, dass sie der Querfront-Strategie folgen.

Das Buch befasst sich auch ausführlich mit dem Einfluss auf Verschwörungstheorien in den sozialen Netzwerken, YouTube und Google. In zahlreichen Eigenversuchen forschten Nocun und Lamberty, wie Algorithmen von Worteingaben sich den Nutzern anpassen. Sie stellen fest: Google, YouTube und die sozialen Netzwerke agieren über Algorithmen, um Nutzern vermeintlich passende Ergebnisse zu liefern. Hierbei orientieren sich die Webseiten an vergangenen Suchanfragen anderer Nutzer:

„Wenn besonders viele Menschen Statements wie „Impfen ist Hauptursache für Krebs“ in die Suchmaske eingeben, dann geht der Algorithmus eben davon aus, dass das auch für andere Nutzer eine relevante Vervollständigung sein könnte (S.124).“

Die unter Reichsbürgern vertretene Meinung, dass Deutschland eine GmbH sei und eigentlich nicht existiere und somit das Deutsche Reich noch bestehe, wird als eine der vielen Ausprägungen von Verschwörungsideologien in der rechtsextremen Szene beschrieben. Über diesen Weg werden die Holocaustleugnung und die antisemitischen Mythen der Rechtsextremen beschrieben. Der schleichende Übergang zwischen Reichsbürgerglaube und dem Rechtsextremismus bleibt das Buch schuldig. Sehr schnell wechselt es von der Reichsbürgerideologie zum Rechtsextremismus und deren Ideologien. Ferner wird zwar von Gewaltanwendungen und Aggressionspotential in der Reichsbürgerszene anhand von Begebenheiten beschrieben, fokussiert sich jedoch dann auf die rechte extreme Szene.

Die Autorinnen weisen zurecht am Ende des Buches daraufhin, dass sich jeder fragen sollte: (1) Woher kommt die Information?, (2) Wer behauptet das?, (3) Was sagen Experten?, (4)Was ist das für ein Medium?, (5) Was zeigt der Doppelcheck?, (6) Ist der Kontext richtig?, um Falschmeldungen zu entlarven. Anhand eines in der Psychologie gängigen „Fünf-Phasen-Modell“ gibt das Buch weitere Tipps, um in der Kommunikation mit Verschwörungsideologien reagieren zu können. In fünf kurzen Abschnitten (Interpretation der Situation, Verantwortungsübernahme, Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, Handeln) wird drauf aufmerksam gemacht, sich diese Bausteine bewusst zu machen. Anhand einer Aufzählung von „typischen“ Merkmalen eines Verschwörungsglaubens kann die eigene Ideologie abgefragt werden. In ihrem Fazit fordern Nocun und Lamberty mehr Aufklärung und auf politischer Ebene mehr Bewusstsein sowie den Willen zum Handeln (S. 299). Weiterhin fordern sie deutlich mehr Angebote, wie mit Verschwörungsideologien umgegangen werden soll. Diese sehen sie in zivilgesellschaftlichen Initiativen sowie in Schulen, wo kritisches Denken und Medienkompetenz flächendecken gelehrt werden sollte. Starke Kritik äußern sie an den Medien, wo Verschwörungserzählungen neben wissenschaftlichen Diskurs ebenbürtig präsentiert werden. Gleiches gelte für das unreflektiertes Einladen von Personen, die an anderer Stelle mit Gerede über eine angebliche „Umvolkung“ eindeutig rechtsextreme Verschwörungserzählungen verbreiten (S.305). Das Buch weist sehr viele Quellenhinweise auf. Die angewandten Statistiken, Auswertungen oder Studien beziehen sich im Buch auf sehr viele amerikanische Begebenheiten. Gewünscht hätte ich mir, dass noch mehr Bezug auf Vor-Ort-Geschehen genommen wäre. Auch, wenn Verschwörungsideologien, Hass, Leugnungen oder Rechtsextremismus keine Ländergrenzen kennen, wird oftmals nur das gesehen, was vor der eigenen Tür ist. Ein großer Verdienst dieses Buches liegt darin, deutlich aufzuzeigen, dass durch extreme Ideologien und deren Verschweigen oder sogenannter Normalität unsere Demokratie belastet und gefährdet wird.



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