Fantasialand Bundesagentur für Arbeit

Bild: privat

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Kommentar

Deutschland feiert „Zehn Jahre Hartz IV“ und fehlen darf natürlich nicht die Bundesagentur für Arbeit. Zahlreiche Kritiken, nachgewiesene Mängel, Analysen und Statistiken von Betroffenen, anerkannten Wissenschaftlern, Statistikern, Politikern und Gewerkschaften werden mal schnell ad absurdum geführt, wenn Frank-Jürgen Weise zunächst in der „Bild“ fantasiert, dass Hartz IV das beste Programm ist, das wir je hatten. Monatliche beschönigte Arbeitslosenzahlen für die Öffentlichkeit und Medien, eine Fantasiereise in die Welt der Vollbeschäftigung mit Hilfe des prekären Arbeitsmarktes sowie die Lüge vom Fachkräftemangel täuschen nicht darüber hinweg, dass Hartz IV ein „Anschlag auf die Menschenwürde“ ist. Um so zynischer ist es, wenn Weise meint: „Natürlich gab es Verlierer, aber in der Summe war die Agenda 2010 für die Menschen ein Gewinn.“ Eine Million Menschen sind „Verlierer“, wenn ihnen vom Existenzminimum noch ein Minimum entzogen wird. Menschen sind „Verlierer“, wenn sie ihr Obdach verlieren und ihren Strom nicht mehr bezahlen können. Die Gewinner sitzen auf der anderen Seite: Unternehmen, die durch großzügige Lohnsubventionen der Bundesagentur für Arbeit ihr Prekariat stabilisieren, zementieren und sich entspannt zurücklehnen, weil sie sich in der Sicherheit wiegen können, neues Futter in Form von Zwangsbewerbern über die Arbeitsagenturen und Jobcenter zu erhalten. Aus der mit der Agenda 2010 eingeführten Eigenverantwortung eines jeden Erwerbslosen wurden gleichzeitig legitimierte exekutive Erziehungsmaßnahmen in Form von Geldkürzungen oder Zwangsmaßnahmen erschaffen. „Sind sie zu stark, bist du zu schwach“, titelt Fisherman’s Friend. Zu schwach ist hier nur Eine: Unsere Regierung, die es zulässt, dass mit der Agenda 2010 eine Gesellschaftsspaltung entstanden ist, die den sozialen Frieden und unsere Demokratie gefährdet. Eine Regierung, die stolz eine Rentenreform und Arbeitsmarktpolitik verkündet, die mit rasendem Tempo eine nicht vorhersehbare Altersarmut bringt. Und eine Regierung, die die Menschenwürde mit Füßen tritt. Zehn Jahre Hartz IV ist kein Grund zum Feiern, es ist ein Grund zum Schämen. Und jedem Erwerbstätigen sollte klar sein, es trennen ihn nur zwölf Monate vom Ausschluss aus der Gesellschaft. Und das ist der „Anschlag auf die Menschenwürde.“

Aus „Wirtschaft und Gesellschaft“ von Thorsten Hild

Die Welt“ und andere Medien berichten heute früh, dass der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, gegenüber “Bild” gesagt hat: “Hartz IV ist das beste Programm, das wir je hatten”. Und Deutschland, so Weise weiter, sei “auf lange Sicht auf dem Weg zur Vollbeschäftigung”. Die aktuelle Eintrübung der Konjunktur, meint Weise darüber hinaus, treffe den Arbeitsmarkt derweil nicht. Zwei Dinge bringt Weise damit zum wiederholten Mal zum Ausdruck: Er versteht die Funktionsweise des Arbeitsmarkts nicht. Und er ignoriert das soziale Elend, das Hartz IV nicht allein über die Arbeitslosen gebracht hat, sondern über viele Millionen Beschäftigte.

Erst einmal sollte auch in diesem Zusammenhang festgehalten werden, wie prekär es um die deutschen Medien bestellt ist. Wie ein Blick in google news zeigt, sind sie keine “vierte Gewalt”, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen hinterfragen, sondern Papageien, in diesem Fall auf der Schulter des Chefs der Bundesagentur für Arbeit.

Deutschland weit entfernt von Vollbeschäftigung

Selbst “Die Welt” hält am Ende ihres Beitrags immerhin fest:

“Vollbeschäftigung wird gemeinhin bei einer Arbeitslosenquote von unter drei Prozent konstatiert. In Deutschland lag diese zuletzt bei 6,3 Prozent.”

Wir sind in einem Punkt sogar konservativer und gehen in unseren Analysen immer davon aus, dass Vollbeschäftigung nicht unter, sondern bereits bei drei Prozent als gegeben angesehen darf. Die Arbeitslosenquote aber liegt mit 6,3 Prozent mehr als doppelt so hoch. Bezieht man die Zahl der Arbeitslosen nicht wie hier auf alle zivilen Erwerbspersonen, sondern auf diejenigen, für die die Bundesagentur vor allem zuständig ist, die abhängig beschäftigten zivilen Erwerbspersonen, liegt die Arbeitslosenquote noch ein gutes Stück höher, nämlich bei sieben Prozent. Zieht man gar die weiter gefasste Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) heran, beträgt die Quote 8,2 Prozent (Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, Monatsbericht Oktober 2014). Selbst der in der Regel stets zu optimistisch vorausschauende Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht in seinem gerade erst vorgestellten Jahresgutachten davon aus, dass die Arbeitslosenquote auch im nächsten Jahr unverändert hoch bleiben wird. Weiter

 



Kategorien:Arbeitsmarktpolitik, Bundesagentur für Arbeit

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