Mit dem BGE den Begriff Arbeit neu definieren

Die Forderung „Hartz IV muss weg“ klingt durchaus polarisierend, wenn keine Alternativen im selben Atemzug genannt werden. Allerdings hört man diese Forderung aus politischer Seite immer weniger. Die CDU, CSU und die SPD halten am Hartz-IV-Regime fest, die Grünen konkurrieren in der Agenda-2010-Politik zwischen Realo- und linker Politik und DIE LINKE. fordert eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.050 Euro. Einzig allein fordern die Piraten und die monothematische BGE-Partei statt Hartz IV ein Bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Allerdings sind beide nicht im Bundestag vertreten, schmälert aber nicht ihr Engagement. Es stellt sich tatsächlich die Frage was kommt, wenn Hartz IV abgeschafft wird? Die Angst, dass dann nichts mehr folgt, weil keine Alternativen benannt werden, ist berechtigt. In dem Fall würden nur noch die schwarze Null im eigenen Geldbeutel und der Verlust der sozialen Absicherung dominieren. Das wäre fatal.

Eine Alternative und ein erster Schritt wäre durchaus die sanktionsfreie Mindestsicherung der LINKEN. Diese ist allerdings nicht bedingungslos und erwartet weiterhin die Offenbarung und den teilweisen Verbrauch des eigenen Vermögens und die Stigmatisierung des „faulen, schmarotzenden Hartzers“. Die Jobcenter und deren Regularien bleiben en gros bestehen.

Eine weitere Alternative wäre die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn und Personalausgleich, die Prof. Heinz-J. Bontrup für Wirtschaftswissenschaft fordert. Als Argumente werden zusätzliche Arbeitsplätze und eine berufliche Entlastung angeführt. Auch, wenn sich die zusätzlichen Arbeitsplätze vermutlich nicht linear in allen Regionen verteilen werden, ist zumindest der positive Effekt der persönlichen Entlastung und Zeit für die Familie oder anderes hervorzuheben. Hartz IV bleibt damit leider noch immer Realität.

Und somit komme ich zum Bedingungslosen Grundeinkommen statt Hartz IV. Gerade BGE-Kritikerinnen und Kritiker führen oftmals an, dass das BGE ja meistens nur von Erwerbslosen vorgebracht wird, um den Schikanen durch die Jobcenter zu entfliehen. Dieser Punkt ist richtig und wichtig. Jedem sei es gegönnt aus dem entmündigenden und entrechteten Hartz IV herauszukommen. Aber es ist kein Alleinstellungsmerkmal für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens. Hinter einem BGE stehen noch viele weitere positive Aspekte, die ich jedoch aus Platzgründen hier nicht erwähnen kann. Aus diesem Grund sei mir verziehen, wenn ich nur einen Bruchteil erwähne.

Nicht jeder BGE-Vorschlag ist sozial

BGE-Befürworter aus der Unternehmenswelt sind mit „dm“-Gründer Götz Werner, Siemens-Chef Joe Kaeser oder Telekom-Chef Timotheus Höttges ebenfalls vertreten. Die Bedenken des Arbeitsplatzabbaus durch die Digitalisierung, auch Arbeit 4.0. stehen hierbei im Fokus. Ich allerdings bin zumeist vorsichtig, wenn ein BGE aus der Wirtschaft gefordert wird. Inwiefern der unternehmerische Wunsch nach eigener Entlastung der sozialversicherungspflichtigen Abgaben im Vordergrund stehen, lässt sich nicht immer erkennen. Gerade die Errungenschaft unserer Sozialversicherungen darf dabei nicht untergehen und muss, auch bei der Finanzierung, Berücksichtigung finden. Ähnliches Prinzip finden wir bei Götz Werner, wenn er eine höhere Besteuerung des Konsums fordert, um die Finanzierung sicherzustellen. Dabei geht er davon aus, dass Reiche durch den Einkauf höherwertigerer Güter auch mehr Steuern bezahlen. Werner vergisst jedoch, dass reiche Menschen auch nur einen Bruchteil ihres Vermögens ausgeben werden oder können. Somit bleibt die Belastung bei denjenigen, die mit dem BGE gerade so über die Runden kommen, weil sie durch einen fehlenden Arbeitsplatz keine Chance haben ihr Einkommen sicherzustellen. Auch, wenn ich ansonsten vielen Aussagen durch Werner zustimmen kann. Neoliberale BGE-Vorschläge sehe ich kritisch und vertrete die Meinung, dass emanzipatorische Modelle mehr auf gezielte Unterstützung von Armut-Betroffene ausgerichtet sind. Sie bitten Reiche stärker zur Kasse in Form von Steuern über sehr hohe Einkommen oder der Vermögenssteuer. Das heißt, die derzeitigen Machtverhältnisse zwischen arm und reich würden sich verschieben. Das würde den Sozialstaat nicht abbauen, sondern zumindest verändern, wenn nicht gar positiv weiterentwickeln.

Ein BGE ist mehr als die Flucht aus den Jobcenterschikanen. Es ist die erweiterte Frage nach dem Begriff der Arbeit und dessen Bedeutung. Wir müssen anerkennen, dass die jetzige Arbeitsmarktpolitik und damit der Mensch, mit seiner produktiven Arbeit steht oder fällt. Reproduktive Arbeit, wie die Pflege eines Angehörigen oder auch Familienzeit werden bis heute als privates Hobby angesehen und gelten damit oft als minderwertig. Gleichzeitig werden genau diese Menschen, besonders in den Jobcentern oder auf dem freien Arbeitsmarkt, diskriminiert, indem man ihnen diese Tätigkeit vorwirft und kaum Chancen einräumt zur Wieder-Erlangung eines Arbeitsplatzes. Der Verlust der eigenen Wertigkeit und deren Berufserfahrungen werden damit gefördert. Das bedeutet nichts anderes, als dass der derzeitige Neoliberalismus die Höchstleistung in Form einer Leistungsgesellschaft fördert und verabsolutiert. Er glorifiziert die Konkurrenz, in welcher sich der Starke gegenüber dem Schwachen durchsetzen soll. Für die Hartz-IV-Leistungsberechtigten bedeutet dieses, sie oder er sind an ihrer Misere selbst schuld, weil sie oder er nicht in der Lage sind einen Arbeitsplatz zu finden oder sich durchzusetzen.

„Hauptsache Arbeit“ als Mantra unserer Leistungsgesellschaft

Ein BGE könnte den betriebswirtschaftlichen und kapitalistischen Tunnelblick, der den Betrachter die Sicht auf die Gesamtzusammenhänge, d.h. die politischen, sozialen und kulturellen Grundlagen der herrschenden Produktionsweisen einengt oder gar versperrt, in Teilen auflösen. Markt, Leistung und Konkurrenz dürfen eben nicht verabsolutiert werden. Und davon sind nicht nur Erwerbslose betroffen, sondern auch alle Erwerbstätige, die sich mit ihrer Arbeit nicht mehr identifizieren können oder weit über ihre körperlichen Möglichkeiten ihrer Tätigkeit nachgehen müssen – bevor sie in Hartz IV rutschen. Wer nur aufsteht, weil er das Geld braucht, wird wenig mit seiner Arbeit zufrieden sein. Das Motto: „Hauptsache (abhängige) Arbeit“ wird mit fehlender Identifizierung, Über- oder Unterforderung in der Tätigkeit so zu einer Wipp-Balance, in der meistens die Arbeitgeber, auf Kosten der Arbeitnehmer gewinnen. Schließlich stehen genug Bewerberinnen oder Bewerber vor der Tür.

Die Diskussion oder gar die Alternative des Bedingungslosen Grundeinkommens stellt uns als Mensch in den Mittelpunkt und nicht nur unsere Arbeitskraft. Sie setzt voraus, den Menschen als Menschen zu sehen und nicht als Kapital, der zu funktionieren hat – obwohl er (der Mensch) es vielleicht gar nicht mehr kann oder ihm die Chance verwehrt wird. Dazu ist es jedoch notwendig, dass wir den Begriff „Arbeit“ neu definieren und wir uns selbst aber damit auch. Wir definieren und lassen uns darüber definieren. Und das zumeist eben über die produktive Arbeit. Wird auf der einen Seite die produktive Arbeit als das Maß aller Dinge betrachtet, so wird die reproduktive Arbeit mit einer Selbstverständlichkeit erwartet, und doch kaum gesellschaftlich anerkannt. Ein Leben in Würde muss möglich sein und steht jedem zu. Mit einem BGE wäre es möglich.

Weiterführende Informationen:

Bundeszentrale für politische Bildung: „Das Bedingungslose Grundeinkommen – Drei Modelle

Netzwerk Grundeinkommen

neues deutschland: „Eine linke Idee – Das Bedingungslose Grundeinkommen kann die Gesellschaft nachhaltig verändern“ v. 13. Februar 2018



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