Vision Grundeinkommen?

Way out

Way out

Nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Art. 23 (1) [1] hat jeder das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit. Inwiefern nun jeder dieses Rechte in Anspruch nehmen kann, hängt davon ab, in welchem Rahmen der einzelne Staat seinen Bürgern diese Rechte einräumt.

Vision Grundeinkommen?

Götz Werner [2], der Gründer der dm-Drogeriekette, als bekanntester Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) sowie andere Anhänger vertreten die Meinung, dass der Staat es jedem Menschen selbst überlassen solle, ob oder was er oder sie arbeiten möchten. Dabei soll jeder/m ein monatliches BGE ausbezahlt werden, von dem er oder sie in Würde leben können. Bei Kindern gibt es unterschiedliche Meinungen, welche ein gekürztes, keines oder ein volles BGE befürworten. Eines wissen auf jeden Fall alle Befürworter: Es muss so hoch sein, dass ein Leben in Würde sowie eine soziokulturelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich sein muss. Götz Werner spricht hier von 1000 Euro für jeden.

Das „Netzwerk Grundeinkommen [3]“ verfasst seine Position in vier Mindestvoraussetzungen: (1) kein Arbeitszwang, (2) ein individueller Rechtsanspruch auf ein BGE muss bestehen, (3) keine Bedürfnisprüfung, (4) Existenzsichernd.

Götz Werner begründet seine Entscheidung zum BGE damit, dass es keine Vollbeschäftigung mehr geben kann. Arbeitsplätze würden durch die ständige Automatisierung wegrationalisiert und die Produktivität übersteigt in Deutschland den tatsächlichen Verbrauch. Ist dann der Markt gesättigt und die Verkaufszahlen rückläufig, würden so Arbeitsplätze abgebaut. Der Mensch weicht der Maschine. So fordert Werner, ein Einkommen nicht mehr nur an Erwerbsarbeit zu koppeln, sondern allen Arbeitsplatzbesitzern und Erwerbslosen bedingungslos ein BGE auszuzahlen. Dabei kommt er auf eine einfache Formel: „Weniger Erwerbsarbeit, mehr Freiheit, mehr Familie, mehr soziales Engagement“. Keine Bittstellung mehr an den Staat in Form von Anträgen von Arbeitslosengeld I oder Hartz IV [4]. Wer sich mehr leisten möchte, kann sich zum BGE etwas dazuverdienen. Auch geht er davon aus, wem seine Arbeit bisher Spaß gemacht habe oder einen Sinn erkannt hat, würde seine Arbeit auch nach der Einführung eines BGE fortführen. Das umfasst auch die eintönigste Arbeit, um soziale Kontakte oder das Gefühl des Gebrauchtwerdens aufrecht zu erhalten. Der Mensch hätte mehr Zeit, sinnstiftende Tätigkeiten auszuüben, mit denen er sich identifizieren kann. Werner geht davon aus, dass mehr soziale Arbeit geleistet würde: Erziehungsarbeit, Pflege, künstlerische Arbeit, Kultur- und Theaterarbeit, Bildungsarbeit …. Die Finanzierung stellt er sich über eine höhere Konsumsteuer vor. Dabei geht er davon aus, dass Reiche durch den Einkauf höherwertigerer Güter auch damit mehr Steuern bezahlen. Arbeitslosen- und Rentenversicherung werden durch das BGE überflüssig, da jeder mit einem BGE entweder arbeiten oder auch damit seinen Lebensabend verbringen kann. Bafög, Kindergeld etc. bräuchte der Staat ebenfalls nicht mehr zahlen, was wiederum zu einem bürokratischen Abbau führe.

Was vergisst Götz Werner? Er vergisst, dass reiche Menschen, wie z.B. ein Ackermann auch nur einen Teil ihres Vermögens, wenn nicht sogar nur einen Bruchteil ihres Vermögens, ausgeben und ausgeben können. Und hier besteht weiterer Klärungsbedarf, ob gerade bei den Reichen nicht eine weitere zusätzliche Einkommenssteuer notwendig wäre. Das wiederum widerspräche jedoch dem Grundgedanken des BGE: Für alle.

Stimme aus der Politik

Ideen von Befürworterinnen wie Katja Kipping [5] (Die Linke) ähneln den Vorstellungen von Götz Werner, jedoch weiten sie das Soziale aus. Erwerbslosigkeit würde so ihre Stigmatisierung verlieren und die Erwerbslosen müssten sich ihrer Erwerbslosigkeit nicht mehr schämen. Soziale Kontakte würden damit stabil bleiben. Aus emanzipatorischer Sicht wären erwerbslose Männer oder Frauen nicht so sehr vom Partnereinkommen abhängig und würden selbstbewusster. Obdachlose, Bettler oder von Grundsicherung abhängiger Rentner und Erwerbsunfähige würden nicht mehr um ihre nackte Existenz bangen müssen. Jeder, ob erwerbstätig oder erwerbslos, erhält die gleiche Grundsicherung. Stigmatisierung des „faulen und schmarotzenden“ Erwerbslosen würde es nicht mehr geben. Auch würden Ehrenämter, Hausarbeit oder ehrenamtliches politisches Engagement so gleichgestellt werden, dass die Ungleichheit zwischen anerkannter entlohnter Erwerbstätigkeit und kostenlosem Ehrenamt aufhört. Menschen hätten die Freiheit, ihren „Wert“ ihrer Tätigkeit selbst zu bestimmen, um so dem Niedriglohn aus dem Weg zu gehen und somit Unabhängigkeit zu erlangen.

Durch den jetzigen Neoliberalismus, insbesondere der jetzigen Arbeitsmarktpolitik, fällt und steht der Mensch mit seiner produktiven Arbeit. Reproduktive Arbeiten, wie Pflege eines Angehörigen, wird z.T. als privates Hobby angesehen. Gleichzeitig werden diese Menschen, besonders in den Jobcentern und auf dem freien Arbeitsmarkt diskriminiert, indem man ihnen genau diese Tätigkeit vorwirft. So wird sie oftmals von Unternehmen nicht anerkannt und die Menschen verlieren ihre Wertigkeit, was die Berufserfahrung anbelangt. Neben der oftmals Vollzeitpflege, sind sie trotzdem oftmals durch die Jobcenter verpflichtet, sich nebenbei auf sämtliche Tätigkeiten zu bewerben. Ebenso würden mit dem BGE sinnlose Ein-Euro-Jobs oder andere repressive Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Vergangenheit angehören. Der Mensch in seiner Würde dürfte mit dem BGE Mensch bleiben und Tätigkeiten ausüben, deren Fähigkeiten und Ressourcen er mitbringt.

Höchstleistung wird verabsolutiert

Der derzeitige Neoliberalismus fördert und verabsolutiert geradezu die Höchstleistung in Form einer Leistungsgesellschaft. Sie glorifizieren die Konkurrenz, in welcher sich der Starke gegenüber dem Schwachen durchsetzen soll (Christoph Butterwegge 2013). Für den Hartz IV-Empfänger bedeutet dieses, er ist an seiner Misere selbst schuld, weil er nicht in der Lage ist, einen Arbeitsplatz zu finden und sich durchzusetzen. Schröder nannte es mit der Einführung der Agenda 2010 im März 2003: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“ Der erste Schritt zu einer sozialen Selektion, die mit dem Prinzip der Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit aller Gesellschaftsmitglieder unvereinbar ist. In meinen Augen haben wir damit einen betriebswirtschaftlichen Tunnelblick, der dem Betrachter die Sicht auf den Gesamtzusammenhang, d.h. die politischen, sozialen und kulturellen Grundlagen der herrschenden Produktionsweise einengt oder gar versperrt. Markt, Leistung und Konkurrenz darf nicht verabsolutiert werden. Aber genau das passiert – ohne ein BGE. Wie sieht es nun mit Hartz IV aus?

Das derzeitige System mit Hartz IV verstößt gleich gegen mehrere Artikel im Grundgesetz:

  • Jede Tätigkeit ist zumutbar – „Zwangsarbeit“ und sei es in Form von Ein-Euro-Jobs oder die kommenden geplanten Null-Euro-Jobs in Hamburg.
  • Verstoß gegen die Ausbildungs- und Berufsfreiheit – auch hier: jede Tätigkeit ist zumutbar. Pressen in eine Ausbildung der Arbeitslosenstatistik wegen.
  • Niederlassungs- und Wohnungsfreiheit – Ein Umzug bedarf oftmals einer Zustimmung durch die Jobcenter, ansonsten besteht die Gefahr, dass die zukünftigen Mietkosten nicht übernommen werden.
  • Verstoß gegen die Freizügigkeit – Ortsabwesenheit, welche den Rahmen einer tgl. Briefkastenleerung überschreitet, muss vom JC genehmigt werden.
  • Unverletzlichkeit der Wohnung – Hausbesuche durch den sog. Außendienst, z.B. bei Beantragung von Erstausstattung oder anonymen Anzeigen.
  • Verstoß gegen die Menschenwürde – Die Würde des Menschen ist unantastbar, welches sich wiederum gegen die bereits benannten Verstöße richtet.

Faulheit durch das BGE?

Wie sieht es nun damit aus, dass oftmals behauptet wird, mit einem BGE werden die Menschen faul? Oftmals wird im gleichen Atemzug der Hartz IV-Bezieher genannt. Wie würde es Ihnen ergehen, wenn man Sie zu irgendetwas triezt, was gegen Ihre Fähigkeiten, Ihren Beruf oder auch Möglichkeiten geht? Sie würden sich vermutlich, genauso wie ich, dagegen wehren. Auch 40 Stunden erwerbslos zu sein, ist für viele Menschen ein Zustand, gegen den sie sich wehren und wenn es die Form der Lethargie ist, weil die Kraft für mehr fehlt. Neben der zu beobachteten fehlenden Kraft, sind die finanziellen Mittel nicht ausreichend, um an der soziokulturellen Teilhabe teilzunehmen. Ein Zitat vom Philosophen Jean-Jacques Rousseaus gibt es mit seinen Worten wieder:„Freiheit ist: nicht tun zu müssen, was man soll“ (Jean-Jacque Rousseau – 1712-1778, Philosoph). Die Erwerbslosen müssen erwerbslos sein und bleiben. So wird der Erwerbslose zu einem Produkt, weil es nicht genügend Arbeitsplätze gibt. Zu einem Produkt, weil die Automatisierung um sich greift und zu einem Produkt, weil immer mehr Menschen mehr arbeiten müssen, anstatt diese Arbeit gerecht zu verteilen. Mit dem BGE ist kein Mensch mehr von niemandem abhängig: weder von Familie, Kindern, Arbeitgeber noch vom Staat. Wer nur aufsteht, weil er das Geld braucht, wird wenig mit seiner Arbeit zufrieden sein. Gallup sagt in seiner Studie aus 2013, dass nur jeder Vierte mit seiner Tätigkeit zufrieden ist, resp. sich damit identifizieren kann. So steigen zwar nicht unbedingt die Gesamtanzahl der Tage der Krankmeldungen, es steigen jedoch die Tage von Krankmeldungen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen. Eine Folge von z.T. Überarbeitung, Druck und Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Mit einem BGE könnten die Menschen das tun, was ihnen entspricht. Für die Gesellschaft kann das bedeuten, sie laufen durch die Straßen und sehen Menschen, die einfach bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zufrieden sind, weil sie es aus freien Stücken tun: Ich muss mir keine Sorgen mehr um meine Existenz machen und kann mich an neue Ideen wagen. Das BGE gibt uns die Freiheit etwas auszuprobieren: Z.B. die Gründung eines Start-Up-Unternehmens, Musizieren auf der Straße, Wertschätzung meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im sozialen oder pflegerischen Bereich und und und. Geschaffen werden damit auch viel mehr Risikobereitschaft und Unternehmertum – neue Arbeitsplätze entstehen, mit vielen kreativen Köpfen, weil die Freiheit dazu einfach vorhanden ist. Demokratie jedweder Art lebt von der Aktivität, Spontanität und Kreativität ihrer Bürgerinnen und Bürger. Ein BGE vermeidet die Kontroll- und Zwangsmaßnahmen gegenüber Personengruppen, wie die Arbeitslosengeld II-Berechtigten. Es beendet die Spaltung zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen, aber auch zwischen Erwerbstätigen und Erwerbstätigen. Hier können sämtliche Gruppen aufgeführt werden.

Der Arbeitgeber muss zu Not selbst arbeiten

Bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass sich jeder nur noch die schöne und angenehme Arbeit aussucht und die „dreckige“ und langweilige Arbeit liegen bleibt? Nun gibt es diverse Alternativen:

  1. Der Arbeitgeber gestaltet die Arbeit so, dass sie attraktiv wird
  2. Der Arbeitgeber zahlt höhere Löhne
  3. Der Arbeitgeber macht seine Arbeit selbst

Der Mensch mit einem BGE im Rücken hat so die Freiheit dem Arbeitgeber mitzuteilen, was er sich vorstellt: höhere Entlohnung (z.B. HoGA), Arbeitsbedingungen, die menschlich sind (Tarifbindung, geregelte Arbeitszeiten, Familie und Beruf, Ausstattung – Hilfsmittel) und die Möglichkeit, sich selbst einzubringen. Ziel muss es sein, dass der derzeitige neoliberale Wettbewerbswahn und die damit einhergehende Ausgrenzung von Randgruppen, beendet werden.

Was ist mit den Menschen, die nicht mehr wollen, die nicht so kreativ sind, die lieber vor dem Fernseher sitzen?

Zumeist hat der Mensch die Tendenz sich entwickeln zu wollen, Ideen umzusetzen und seine Grenzen und die damit verbundenen Kräften kennenzulernen. Diese Menschen haben erst mal die Freiheit des bedingungslosen Grundeinkommens; d.h. sie haben somit auch die Freiheit, sich beratende Hilfe zu suchen. Aus den Jobcentern könnte man hier einen Teil als Beratungscenter umgestalten und sich damit eine Hilfe holen, die einer tatsächlichen Hilfe entspricht. Wer aus Krankheitsgründen nicht mehr kann, ist auch so abgesichert. Diesen Menschen wird Zeit zugesprochen. Zeit, die oftmals benötigt wird, um aus einem evtl. Loch zu kommen und zu gesunden. Aber ist es nicht viel wichtiger, dass der unsägliche missbrauchte Satz in Bezug zu Hartz IV: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, an Bedeutung verliert? Die so oftmals in diesem Kontext bestehende Stigmatisierung fällt weg. Die damit ebenso verbundenen Selbstvorwürfe und Schuldzuweisungen durch andere, aber auch der entstehende Druck durch sich selbst, wegen der fehlenden Aktivität und Eigenverantwortung, löst sich auf. Und niemand kann mehr sagen, wer nicht arbeitet oder sich nicht fügt, soll dann halt verhungern.

Fakt ist doch, dass wir uns den Begriff „Arbeit“ haben wegnehmen lassen. Wir definieren und lassen uns über den Begriff „Arbeit“ definieren. Zeige mir was du leistest, und ich sage dir, wer du bist?! Hoch, höher, am höchsten = Burnout. Zumeist wird dieses, wie schon mal eingangs erwähnt, über die produktive Arbeit hergeleitet. Reproduktive Arbeit, wie Familienpflege, wird gesellschaftlich kaum anerkannt – jedoch mit einer Selbstverständlichkeit erwartet. Sollte es nicht vielmehr heißen: Arbeit – für ein Leben in Würde und wenn dieses nicht möglich ist, unabhängig der Gründe, dann muss es zumindest heißen: Ein Leben in Würde muss möglich sein und steht jedem zu. Mit einem BGE ist das möglich.

[1] Aus: Amnesty International – abgerufen am 21.09.2014: http://www.amnesty.de/umleitung/1899/deu07/001

[2] Aus „Unternimm die Zukunft“ Götz Werner – abgerufen am 21.09.2014: http://www.unternimm-die-zukunft.de/de/zum-grundeinkommen/beitraege-von-goetz-werner/

[3] Aus „Netzwerk Grundeinkommen – abgerufen am 21.09.2014: https://www.grundeinkommen.de

[4] Arbeitslosengeld II / Sozialgeld – abgerufen am 21.09.2014: http://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/BuergerinnenUndBuerger/Arbeitslosigkeit/Arbeitslosengeld/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI485758

[5] Katja Kipping zum BGE – abgerufen am 21.09.2014: http://www.katja-kipping.de/de/topic/16.dossiers.html

aus: Rede I. Hannemann innerhalb der „Woche des Grundeinkommens“ – Herbst 2014



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