Jugendliche werden in den Jobcentern nur mangelhaft begleitet

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Heftige Kritik des Bundesrechnungshofes (BRH)  an der „Betreuung“ und Vermittlung Jugendlicher mit Berufsabschluss in den Jobcentern: Fehlerhafte Dokumentationen von Berufsabschlüssen Jugendlicher, fehlende oder zu späte Erstberatungen der Jugendlichen, krampfhaftes Festhalten an Erstausbildungen, unzureichende, ungenaue Eingliederungsvereinbarungen.

In sieben Jobcentern und davon in 336 Fällen wurde in 2016 die „Betreuung“ junger Menschen von 15 Jahren bis 25 Jahren durch den Bundesrechnungshof überprüft. Wie es in dem Bericht hieß, waren oft Jugendliche mit abgeschlossener Berufsausbildung ausgewiesen, obwohl sie tatsächlich über keinen Berufsabschluss verfügten. In anderen Fällen waren die Berufsbezeichnungen falsch. Als mögliche Ursache nannten die Jobcenter in gemeinsamer Einrichtung (BA), dass ein späteres Erkennen fehlerhaften Berufsangaben nicht automatisch im Lebenslauf des internen Systems zurückgesetzt werde. Die zugelassenen kommunalen Träger konnten keine bestimmten Ursachen angeben. Die Prüfer stellten fest, dass nicht existierende oder falsche Ausbildungsabschlüsse ein fehlerhaftes Bild über die Qualifikation und über den Bedarf an Qualifizierungsmaßnahmen der Leistungsberechtigten zu falschen Vermittlungsansätzen und eingeschränkten Integrationschancen führen. Die Bundesagentur für Arbeit teilt die Meinung des BRH in ihrer Stellungnahme an das Bundesarbeitsministerium nicht vollständig. So heißt es:

Die Profillagen sind eines von vielen Merkmalen für die Kundenstruktur. Die Jobcenter legen ihre Geschäftspolitik auch nach anderen Kriterien fest. Daher wird die Meinung des BRH, dass es infolge von Fehlern in der Zuordnung der Profillagen zu Fehlsteuerungen kommt, nicht vollständig geteilt. (…) Die Integrationsarbeit erfolge nicht ausschließlich systemseitig, sondern auch im unmittelbaren Kontakt zwischen Kunde und Integrationsfachkraft.

Hierzu ergänzt der BRH, dass diese zwar zutreffe, aber nur dann zu einer Verbesserung der Datenqualität führe, wenn die Kundenkontakte auch dazu genutzt werden, fehlhafte Lebenslaufeinträge zu korrigieren.

Verlängerte Wartezeiten auf ein Erstgespräch im Jobcenter

Jugendliche mussten teilweise länger als 30 Kalendertage auf eine Erstberatung durch die Jobcenter warten. Der BRH fordert in seinem Bericht, dass Erstgespräche schnellstmöglich nach Kenntnis von der Arbeitslosigkeit geführt werden und keine vermeidbaren Verzögerungen eintreten. Dem stimmt die Bundesagentur für Arbeit zu. Sie selbst habe einen Mindeststandard, mit dem Jugendliche innerhalb von zehn Werktagen nach Antragstellung oder z.B. nach Ablauf einer Kindererziehung ein ausführliches Erstgespräch zu führen sei. Hierbei sind Stärken und Schwächen sowie auf den Zielberuf für die Vermittlung wichtige Handlungsbedarfe herauszuarbeiten. Bei der Überprüfung stellte der BRH allerdings auch fest, dass zwar ein sog. Profiling erfolge, doch die Jobcenter diese Einträge oftmals in der Zukunft nicht weiter beachteten und somit keine entsprechenden Maßnahmen für die Jugendlichen veranlassten. Somit führe jede Verzögerung zu einer Entwertung des Berufsabschlusses, da keine Berufserfahrungen erlangt werden können und die Gefahr einer Langzeitarbeitslosigkeit steige.

Dass die einmal erworbene Berufsausbildung keine anschließende Beschäftigung oder einen dauerhaften Arbeitsplatz garantiere, erkennt der BRH in seinem Bericht richtig. Aus diesem Grund fördert der Gesetzgeber, unter bestimmten Voraussetzungen, eine berufliche Weiterbildung oder gar eine Zweitausbildung, um eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration zu ermöglichen. Dieses ist insbesondere im § 81 SGB III verankert. Die interne Regelung, dass Erwerbslose gerne mal als Ungelernt durch die Jobcenter eingestuft werden, wenn sie mehr als vier Jahre erwerbslos sind oder in dieser Zeit einen an- oder ungelernten Beruf ausgeübt haben, wird dann wieder wichtig, wenn es um die Notwendigkeit einer Weiterbildung geht. Hier übt der BRH große Kritik daran, dass die Jobcenter an dem festgelegten Zielberuf festhielten – auch bei anhaltenden Misserfolgen. Eine Weiterbildung oder Zweitausbildung zogen sie nur selten in Betracht. Hierzu führen sie Beispiele auf:

Der Jugendliche verfügt über einen im Juli 2011 erworbenen betrieblichen Berufsabschluss als Straßenbauer und wird nach krankheitsbedingter Kündigung seit dem Mai 2015 vom Jobcenter betreut. Der Jugendliche will aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im Straßen- oder Tiefbau arbeiten. Es wurde kein ärztliches Gutachten veranlasst. Das Jobcenter unterbreitete wiederholt erfolglos Vermittlungsvorschläge mit dem Zielberuf Straßenbauer.

Der Jugendliche verfügt einen im Mai 2014 erworbenen außerbetrieblichen Berufsabschluss als Fachpraktiker für Fahrzeugpflege. Er hat in diesem Beruf nicht gearbeitet und ist durch Trägerwechsel seit November 2015 in der Betreuung des Jobcenters. Er möchte eine Ausbildung zum Gärtner machen. Das Jobcenter versuchte den Jugendlichen ohne Umschulung erfolglos in den Zielberuf Gärtner zu vermitteln.

Ein anderes Jobcenter wies darauf hin, dass es bei außerbetrieblichen Abschlüssen oft Akzeptanzprobleme gebe. Die Arbeitgeber bevorzugten in der Regel eine betriebliche Ausbildung und hätten oft Vorbehalte, weil die absolvierten Berufspraktika keine betriebliche Erfahrung ersetzen könnten. Eine betriebliche Zweitausbildung fördere das Jobcenter nur ausnahmsweise in „Härtefällen“.

Das Fazit des BRH fällt vernichtend aus, wenn sie feststellen, dass die Jobcenter oft zu lange erfolglos an dem einmal festgelegten Zielberuf festhielten und ergänzende Qualifizierungen unterließen. Benachbarte Berufe mit einer höheren Integrationswahrscheinlichkeit wurden zu wenig einbezogen. Diese führen sie u.a. auf mangelnde Berufskunde-Kenntnisse der Vermittlungsfachkräfte zurück. Dem stimmt die Bundesagentur für Arbeit nur bedingt zu und begründet dieses damit, dass Jugendliche, die noch nicht als ungelernt gelten, vorrangig im erlernten Beruf in den Arbeitsmarkt integriert werden sollten. Soweit es erforderlich sei, käme als Förderung zunächst eine Maßnahme (Praktikum) bei einem oder mehreren Arbeitgeber (MAG) in Betracht. Damit hofft die BA, dass sich daraus idealerweise eine versicherungspflichtige Beschäftigung ergibt. Wäre auch dieses erfolglos, gäbe es noch die sog. Kurzqualifizierungen über einen Träger (MAT) oder eine Anpassungsqualifizierung in der beruflichen Weiterbildung (FbW- Bildungsgutschein).

Am Rande sei zu den sog. Maßnahmen bei einem Träger ein Artikel im „Tagesspiegel“ erwähnt.

Eine komplette Umschulung sollte nur auf Einzelfälle beschränkt sein, wenn absehbar ist, dass eine dauerhafte Eingliederung anders nicht erfolgen könne, so die BA weiter. Die Kritik des BRH mangelnder Berufskunde-Kenntnisse der Vermittlungsfachkräfte weisen sie zurück und sehen keinen Bedarf mit weiteren Maßnahmen diese (fehlenden) Kenntnisse zu verbessern.

Kritik an Eingliederungsvereinbarungen und Vermittlungsvorschlägen

Ein Thema sind immer wieder die Eingliederungsvereinbarungen und die zum Teil daraus folgenden Vermittlungsvorschläge. Das Sozialgesetzbuch II gibt vor, dass mit jedem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Eingliederungsvereinbarung (Vertrag zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigten) erfolgen soll. Hier sind die Leistungen des Jobcenters und die Pflichten der Erwerbslosen gleichberechtigt und passgenau zu formulieren. Lag in jedem rund zehnten Fall keine Eingliederungsvereinbarung vor, so waren sie, laut dem BRH, oft formularmäßig allgemein verfasst und beschrieben weder die Bemühungen des Jobcenters noch die der Leistungsberechtigten konkret. Die BA verwies in ihrer Stellungnahme auf das neue Änderungsgesetz im SGB II und deren geänderten fachlichen Weisung. Somit rücke die Eingliederungsvereinbarung noch stärker in die Rolle eines Leitfadens zur Integration. Seit November 2016 seien diese Änderungen auch im internen System der Jobcenter angepasst. Außerdem erwähnen sie, dass das Gesetz nicht vorsieht, in jedem Falle eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Bei den Vermittlungsvorschlägen schreiben die Prüfer:

Die Jobcenter erfüllten ihre Aufgabe „Vermittlung in Arbeit“ nur unzureichend. Sie unterstützen mehr als ein Viertel der Jugendlichen nicht durch Vermittlungsvorschläge. Bei den zugelassenen kommunalen Trägern waren sogar bei rund zwei Dritteln der Jugendlichen keine Vermittlungsvorschläge dokumentiert. (…) Wir halten nach wie vor intensivere Anstrengungen für erforderlich, um insbesondere die von den zugelassenen kommunalen Trägern betreuten Jugendlichen mit Vermittlungsvorschlägen zu unterstützen.“

Die BA kontert, indem sie davon sprechen, dass junge Menschen unter 25 Jahren durch die Jobcenter intensiv betreut werden. So ist diese Gruppe seit Jahren geschäftspolitischer Handlungsschwerpunkt.

Das Fazit der BA kommt zum Schluss, dass:

Bei aller Differenziertheit in der Bewertung der einzelnen Prüfungsaspekte kommt auch in diesem Bericht recht deutlich zum Ausdruck, dass nach wie vor zum Teil erhebliche Mängel im Bereich der Fachaufsicht vorhanden sind. (…) Dabei ist jedoch auch zu akzeptieren, dass nicht alle Aufgabenbereiche des SGB II optimal ausgestaltet werden können. Die dabei vorhandenen Begrenzungen sind insoweit systemimmanent.

Ende ich mit einem Zitat von Detlef Scheele*:

„Wer keinen Platz bekommen hat, darf nicht in irgendwelchen Warteschlangen geparkt werden und das so-und-so-vielte Bewerbungstraining bekommen. Der Betroffene muss in die Praxis, sollte als Praktikant in einen Betrieb vermittelt werden und weiter zur Berufsschule gehen. Mit dem so genannten Klebeeffekt könnte für den jungen Menschen so am Ende ein ungeförderter Ausbildungsplatz stehen.“ (rp-online)


* Detlef Scheele (SPD) seit 2015 Mitglied Vorstand BA, seit 1. April 2017 Vorstandsvorsitzer BA (Quelle: BA)

Stellungnahme Bundesagentur für Arbeit



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