Rechtsfreier Raum – Jobcenter und die bundesweite Kampagne „AufRECHT bestehen“

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Bild: privat

Die bundesweite Kampagne „AufRECHT bestehen – Kein Sonderrecht im Jobcenter“ fand am 2. Oktober in vielen deutschen Städten statt. Neben unterschiedlichsten Erwerbsloseninitiativen unterstützte die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen Berlin die Aktion. Hamburg, Ludwigshafen, Limburg-Weilburg, Düsseldorf, Iserlohn sowie weitere Städte beteiligten sich mit einem offenen Mikrofon, Transparenten und Musik an der Kampagne. So fanden sich in Bonn rund 50 Teilnehmer mit einem Infotisch vor dem Jobcenter ein. Die Erwerbsloseninitiative Tacheles e.V. verlegte ihre Aktion in die Fußgängerzone von Wuppertal und in Hannover wurde eine „Sorgenmauer“ von Erwerbslosen aus Kartons aufgebaut. Eine ähnliche Mauer, jedoch mit Kritik- und Forderungspunkten fand sich in Wedel und Frankfurt „besetzte“ das Jobcenter. In den Städten wurde die „Charta der Selbstverständlichkeiten“ für jedes Jobcenter verlesen und der Versuch gestartet, diese den Jobcentern zu überreichen:

Charta der Selbstverständlichkeiten

Charta der Selbstverständlichkeiten

ein Klima des Willkommens, ein freundlicher Umgangston
 und Hilfsbereitschaft nach dem Motto:

Hartz IV und Sozialhilfe: Ihr gutes Recht!

gute Beratung und schnelle Hilfe durch gut qualifizierte MitarbeiterInnen in ausreichender Zahl

umfassende Information über zustehende Leistungen (z. B. Warmwasserkosten) und vollständige Ermittlung
des Hilfebedarfs

Persönliche Vorsprachen ohne langes Warten und schnelle und umfassende Hilfen in dringenden Fällen

Eingangsbestätigungen für eingereichte Anträge und
Unterlagen bekommt Mensch ganz automatisch

Termine nach Absprache und nicht von oben angeordnet

Beistände, die überall willkommen sind

Angebote zu hochwertigen beruflichen Hilfen, die eine
Perspektive bieten und freiwillig sind

Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch
besteht, werden ohne Wenn und Aber und
ohne Abstriche gewährt

Hilfen zur Überwindung von Sprachbarrieren 
(einschließlich der Kostenübernahme
für Dolmetscher)

Nicht jede Geschäftsführung oder Jobcenter nahm die Selbstverständlichkeiten an. So wurde in Frankfurt als auch in Hamburg-Altona beim Versuch der Übergabe die Polizei gerufen. Hatte man Angst vor der eigenen Courage oder schlechtem Gewissen? In Bonn und anderen Jobcentern dagegen versicherten die Geschäftsführer der Jobcenter, dass sie die „Charta der Selbstverständlichkeiten“ begrüßen würden. Eine „Charta der Selbstverständlichkeiten“, wo es eigentlich keine Diskussion um deren Umsetzung geben darf. Insbesondere dann nicht, wenn von „Kunden“ in den Behörden gesprochen wird. Umso mehr erstaunt die polizeiliche Gegenwehr einzelner Jobcenter. Ist es nicht nur eine Ablehnung dieser, verläuft parallel eine subtile Kriminalisierung von Betroffenen sowie beteiligten Akteuren wie Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Initiativen. Eine offene Kommunikation kann so nicht stattfinden. Stattdessen wird eine weitere Mauer aufgebaut, die von Distanz und Abwehr geprägt wird und ist. Selbstverständlichkeiten, die keiner Diskussion bedürfen und in anderen Behörden einfach selbstverständlich sind. „Es fängt der Fisch zuerst vom Kopf zu stinken an“, so der Humanist Erasmus von Rotterdam in einem Zitat gegen die schlechten Herrscher, die mit ihrer Verderbtheit das ganze Volk anstecken. Wollte die Kampagne auf der einen Seite auf die angedachten „Verschärfungen im Leistungsrecht SGB II“ aufmerksam machen, haben es die Erwerbslosen seit Jahren geschafft, sich gemeinsam vor die Jobcenter zu stellen, um auf die desolaten Zustände aufmerksam zu machen. Eine Handlung, die in einer Demokratie nicht zu diskutieren ist und doch von Seiten der Exekutive z.T. mit kompletter Missachtung und Ablehnung bestraft wird. Bedarf es noch mehr Demonstrationsmacht den rechtsfreien Raumes eines Jobcenters öffentlich so zu offenbaren? Wäre es mal nicht an der Zeit, dass diese Exekutive in sich geht und darüber nachdenkt und ausspricht, dass die Masse der Klagen und Beschwerden nicht nur Einzelfälle sind? Es wäre eine Transparenz, die bis heute fehlt und die Geheimniskrämerei der sogenannten „Rechtsverschärfungen“ widerspiegelt. Und so scheint es z.T. weiterhin zu sein, dass Erwerbslose ihre Rechte vor der Tür eines Jobcenters abzulegen haben und der einzige Souverän das Jobcenter ist. Und so lange diese Meinung vorherrscht, ist es notwendig Kampagnen wie „AufRecht bestehen“ weiterzuführen.

 

Weitere Quellen zur Kampagne:

 

AufRECHT bestehen – Aktionen

AufRECHT bestehen – Charta der Selbstverständlichkeiten 

Netzwerk wehrt sich gegen Verschärfungen – web.de

„Wer keine Arbeit hat, wird ausgegrenzt“ – junge welt

Verdi Erwerbslose informieren über Rechte bei Hartz IV – Der Westen

TV Beitrag „Hessenschau“ ab Min. 1:30

 

 



Kategorien:Arbeitsmarktpolitik, Jobcenter

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