Ein Tweet – eine Vanilleschote.
Eine Vanilleschote verleiht einem Pudding oder einem Weihnachtsessen mehr natürliches Aroma. Es ist ein Tweet des sich-leisten-können und des sich-leisten-wollen. In der finanziellen Welt der Sozialleistungsberechtigten ist die Vanilleschote ein sich-leisten-können. Das Wollen steht hier nicht zur Debatte. Der tägliche Essens- und Getränkerahmen beläuft sich auf fünf Euro für eine alleinstehende Person. Nun werden ein paar Starköche möglicherweise aufmucken und bei inszenierten „Bio – aber günstig“ – Experimenten uns aufzeigen, dass auch dieses mit fünf Euro zu schaffen sind. So ist Tim Mälzers Prinzip die Zweitverwertung, die aus Teilen der Zutaten neue Gerichte kochen. Abwechslung muss schließlich sein. Fleisch wird nach diesem Prinzip eher zur Beilage. Tim Mälzer möchte ich jetzt nicht an den Pranger stellen. Immerhin soll es darum gehen, ob mit Hartz IV oder der Grundsicherung ein günstiges und gesundes Essen möglich ist. Diese Experimente sind schön anzusehen – analog der Experimente „einen Monat von Hartz IV zu leben“. Die Frage ist jedoch: Stehen diese fünf Euro realistisch zur Verfügung? Möglicherweise nicht – oder wie „Plasmogen 5“ treffend antwortet, das Existenzminimum steht nicht in voller Höhe für Lebensmittel zur Verfügung.
Hartz IV und die Grundsicherung, die den Ruf besitzen, das Existenzminimum zu sichern, werden mit diesem Tweet demaskiert. Gleichzeitig mutiert eine Vanilleschote zu Luxus, genauso wie Hund und Katze – schreibt „Piderschneider-Uschi“. Ist es jetzt Ironie, dass eine Vanilleschote, ein Hund und eine Katze zum Luxus gehören? Oder, dass der Vergleich mit der Vanilleschote hinkt, weil es eben Luxus ist? Es scheint keinen Zweifel daran zu geben, dass etwas Aroma genau dieses ist. Und es geht darum, dass etwas Luxus sowieso nicht nötig ist. Und ich bleibe mit der Frage zurück: Wann war der Zeitpunkt, dass ein wenig Luxus hinkt? Dass eine Vanilleschote unnötig ist und es eine Selbstverständlichkeit ist, dass Sozialleistungsberechtigte dieses nicht in ihrem Repertoire haben? Oder, wie es Michaela schreibt: „jede Ausgabe, über dem absolut Notwendigen, mit einem schlechten Gewissen verbunden ist“.
Möglicherweise ist genau dieser Satz der Kern. So angestrengt, wie die Bundesregierung die Agenda 2010 und die zwanghafte Eigenverantwortung in die Welt hinaus posaunt, wirkt es fast frech, über die Grundnahrungsmittel hinaus, etwas zu kaufen. Zwar dürfen Sozialleistungsberechtigte davon träumen, aber gewiss keine Forderungen stellen. Wir können gewiss sein, dass jede Forderung oder jedes Träumen mit neoliberalen Sprüchen oder dem Einreden eines schlechten Gewissens torpediert wird. Dass die Regierung dies immer noch nicht einräumen will, ist nicht nur eine Missachtung der Berechtigten, die jeden Tag neu rechnen müssen, um mit ihrem Etat auszukommen. Auch gesellschaftlich bringt es ihr nichts. Zwar kann sich die Regierung bemühen, eine unangenehme Debatte über die Armut zu unterdrücken und zu ignorieren, weil sie sich schwertut Leid so darzustellen, was es ist: Es ist der tägliche Taschenrechner im Kopf. Nur die Kreativsten werden damit überleben.
Die moderne Welt ist aber zu komplex für eine Vogel-Strauß-Politik. Die Sozialleistungsberechtigten fordern zurecht, dass auch sie sich etwas leisten dürfen und können sollten. Bei allen Diskussionen um (scheinbaren) Luxus geht es nicht um das zweite Superhandy, sondern um Dinge, die einen Bruchteil davon kosten oder Teilhabe möglich machen. In der gegenwärtigen Situation gibt es ein starkes, entscheidendes und nicht zu diskutierendes Argument des arbeitenden Lagers. Es besagt, dass nicht hart arbeitende Menschen mit dem zufrieden sein müssen, was ihnen der Staat gibt. Härter formuliert: Was ihnen der Staat schenkt. Es ist im Sinn dieser Sache, dass die neoliberale Politik zwei Lager entstehen lässt. Überspitzt: Die Begegnung zwischen arm und reich zeichnet sich durch eine Vanilleschote aus. Es sind nicht unbedingt die fünf Euro, sondern vielmehr die Selbstverständlichkeit, dass eine Zusatzausgabe wie dieser jemanden nicht zusteht. Angesichts der Millionen von Armut Betroffenen ist es gar flegelhaft, die derzeitigen geltenden Hartz-IV-Grundsicherung-Regelsätze auf diesem Niveau zu lassen. Selbiges findet sich in der Mindestlohndebatte wieder. Die Kraft der Menschen wird gebraucht. Aber diese Kraft wird nicht entstehen, wenn Menschen kurz gehalten werden. Neue Kraft kann nur durch Respekt gegenüber den Betroffenen und mit dem Bruch der vorgegebenen gewollten Armut entstehen.
Kategorien:Armut
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