10 Jahre Montagsdemonstration – Hamburg – „Weg mit Hartz IV“

10 Jahre Montagsdemonstration Hamburg

10 Jahre Montagsdemonstration Hamburg

10 Jahre Montagsdemonstration Hamburg – 11. August 2014

10 Jahre bundesweite Montagsdemonstration. Ich kam in die Überlegung, ob das nun ein Grund zum Feiern ist oder nicht. 10 Jahre, Montag für Montag und das z.T. bundesweit, eine Demonstration durchzuführen, bedarf erst mal einer Gratulation. Meine Hochachtung gilt den Menschen, die hier seit zehn Jahren mit einer enormen Ausdauer stehen – bei Wind und Wetter. Die Hamburger Montagsdemonstration schrieb in ihrer Einladung: „Vor zehn Jahren, als wir mit den Demonstrationen gegen die Armut schaffenden Gesetze aus dem neugeschaffenen SGB II (Hartz 4) begannen, dachten wir noch, dass wir nicht ganz so lange auf der Straße, protestierend gegen diese offene Umverteilung stehen müssten.“ Das dachte ich auch. Und doch stehen wir noch immer hier und das ist beileibe kein Grund zum Feiern. Aber es ist ein Grund heute hier zu sein, um auf die unsäglichen Hartz IV-Gesetze aufmerksam zu machen.

Mit der Umsetzung der Agenda 2010 vor über zehn Jahren ist eine Verschärfung auf dem Arbeitsmarkt entstanden. Insbesondere die Einführung von Hartz IV, im Jahr 2005, führt bis heute zu einer Spaltung in der Gesellschaft. So stehen (Noch-) Erwerbstätige unter dem Druck jede Tätigkeit beizubehalten, auch dann, wenn die Arbeitsbedingungen oder die Entlohnung prekär sind. Auch dann, wenn die eigentliche Tätigkeit nicht mehr zumutbar ist. Die Angst vor der sozialen Ausgrenzung und der damit verbundenen Stigmatisierung durch Hartz IV, spiegelt sich im Festhalten dieser Jobs wider. Erwerbslose werden durch die Jobcenter dazu gedrängt jede Tätigkeit anzunehmen. Die Verringerung der Hilfebedürftigkeit steht dabei im Fokus. Die Agenda 2010 hat mit der Zumutbarkeitsregelung eine Aufhebung der Berufs- und Ausbildungsfreiheit des Artikels 12 GG[1] in die Wege geleitet.

Gleichzeitig wurde damit der zweitgrößte europäische Niedriglohnsektor geschaffen. Rund 1,3 Millionen[2] Menschen stocken mit Arbeitslosengeld II (Hartz IV) auf, weil der Lohn nicht ausreicht. Jeder zehnte Arbeitslosengeld I-Empfänger erhält zusätzliches Arbeitslosengeld II. Eine wirklich nachhaltige Vermittlung von Langzeitarbeitslosen hat die Agenda 2010 bis heute nicht erreicht. Gerade ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen sind kaum in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar. Damit sinkt die gesellschaftliche Teilhabe und führt zur Ausgrenzung bis hin zur Diskriminierung in unsere Gesellschaft. „Die Folgen sind Dehumanisierungserscheinungen sowie fehlendes Vertrauen in die Gesellschaft und Politik. Verschwendung und Entwertung menschlicher Ressourcen und Fähigkeiten sind weitere Folgen. Hochqualifizierte verschwinden in Hilfstätigkeiten. Praktika sind etwas Alltägliches und für Geringqualifizierte findet sich kein Platz mehr. Eine Verschiebung der Werte, des Berufsstands und Erwartungen, winden sich in eine immer höher werdende Hürde, die kaum mehr für die Betroffenen zu überspringen ist. Damit eingehergehend, folgt die Zerschlagung bürgerlicher Lebensentwürfe und die Erzeugung eines mit Schuld- und Schamgefühlen gepaarten Angstklimas. Wer mit Hartz IV lebt, gilt oftmals als faul und schmarotzend.“[3] „Wer arbeitet, soll etwas zu essen haben, wer nicht arbeitet, braucht nichts zu essen“[4], so Müntefering 2006. Oder wie Sigmar Gabriel auf einem Kongress der Energiebranche im Juni 2014 verlautete:„Was der Kapazitätsmarkt nicht werden kann, ist so was wie Hartz IV für Kraftwerke: Nicht arbeiten, aber Geld verdienen[5].“

Solche Sätze projizieren nichts anderes als das Bild einer neuen, zu diffamierenden Gesellschaftsschicht, welches von Beginn an durch die Medien ebenso verbreitet wird.

„Unterschicht“ signalisiert Ausgrenzung

Bereits im Mai 2003 sprach „Die Zeit“[6] von der neuen Unterschicht. Gemeint waren damals die zukünftigen Hartz IV-Empfänger. Die ersten Schritte zur Stigmatisierung von Langzeitarbeitslosen. Der Begriff „Unterschicht“ signalisiert Ausgrenzung, Ausgeschlossenheit, abgehängt und unqualifiziert. Eine Negierung des arbeitenden Volkes. Von einer Inklusion der Erwerbslosen kann hier nicht gesprochen werden. Vielmehr stellt es eine Exklusion mit fragwürdigen bis hin zu beleidigenden Inhalten dar. „Der damalige Bundeskanzler Schröder erwähnte in seiner Regierungserklärung[7] zur neuen Arbeitsmarktpolitik 2003 den Begriff Eigenverantwortung und davon, dass zukünftig Eigenleistungen von jedem Einzelnen abzufordern sind. Eigenverantwortung ist ein Begriff, mit dem eine Verantwortungszuschreibung de facto Verantwortungsverschiebung vorgenommen wurde. Im neoliberalen Diskurs fungiert Eigenverantwortung als Chiffre für die Privatisierung von Lebensrisiken und den Abbau des Sozialstaates. Sie ist gleichbedeutend mit moralischer Schuld, die der Erwerbslose trägt, indem er überhaupt zum Erwerbslosen wird.“[8] Ein dafür gebräuchliches Instrument ist die derzeitige Sanktionspraxis in den Jobcentern. Mit den mittels Sanktionen durchsetzbarer Zumutbarkeitsregelung wurden die Betroffenen weitgehend entmündigt und haben lediglich Mitspracherecht bei der Gestaltung ihres weiteren oder künftigen Erwerbslebens, während die Jobcenter-Mitarbeiter ihnen gegenüber in eine fast uneingeschränkte Machtposition gelangen.

Der offene und ehrliche Diskurs fehlt bis heute

Bis heute ist über die Agenda 2010 und der damit verbundenen Zusammenlegung der ehemaligen Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz, der Arbeitslosenhilfe sowie deren Vor- und Nachteile, weder offen noch ehrlich, parlamentarisch richtig gestritten worden. Alternativen werden erst gar nicht in Erwägung gezogen.

Stattdessen sind z.T. haarsträubende Verschärfungen, auf Kosten der Erwerbslosen geplant. Im Blick die Vereinfachung der Bürokratie für die Mitarbeiter in den Jobcentern. Aus dem Blick: Die eigentlichen Betroffenen und damit der Mensch und seine Würde. So sollen zwar Weiterbewilligungsbescheide von 6 auf 12 Monate verlängert werden, jedoch im gleichen Atemzug der Mehrbedarf für Alleinerziehende gestrichen, sofern sie sich nicht in einer z.T. sinnlos Maßnahme oder Arbeit befinden, die oftmals zum Leben nicht ausreicht. Sanktionen sollen entschärft werden, aber gleichzeitig wird darüber nachgedacht, eine einheitliche prozentuale Sanktionsregelung einzuführen, wenn jemand nicht zum Termin erscheint. Die z.B. bisherige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, als wichtiger Grund für ein Nichterscheinen, verliert damit automatisch ihre Bedeutung. Überspitzt ausgedrückt heißt es nichts anderes, als mit dem Krankenbett ins Jobcenter zu rollen.

Ein offener und ehrlicher Diskurs ist jedoch schwierig, solange selbst Gewerkschaftskreise, die derzeitige Große Koalition oder gar Sozialverbände, die Agenda 2010 als erfolgreiche Reform feiern und gleichzeitig einen sozialen Fortschritt zu erkennen vermögen. Auch ist es schwierig, solange Geldkürzungen als ein legitimiertes Mittel zur Erziehung von Erwachsenen betrachtet werden. Der Staat in einer Erziehungsfunktion, welche erwachsene Menschen zu Kindern degradiert. Selbst wenn ein Gesetz durch ein Parlament durchgewunken wurde, muss es nicht zwangsläufig richtig sein. Ein Großteil der derzeitigen Gesetzgebung im Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) vergisst das Fördern nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“ und zentriert sich auf das Fordern. Die Gesetzgebung basiert auf einem Menschenbild, das einer Demokratie unwürdig ist und verstößt damit gegen den Geist und Artikel unseres Grundgesetzes. Dieser Irrweg muss beendet werden.

Und somit ende ich mit den Worten der Hamburger Montagsdemonstration: „Nun sind es 10 Jahre und unser Widerstand gegen diese Gesetze wird so lange anhalten bis diese Gesetze vom Tisch sind!“

 

Hinweis zur bundesweiten Kampagne: AufRECHT bestehen! „Wir rufen dazu auf, Aktionen vor Ort ab dem 22. September durchzuführen, vor allem am bundesweiten Aktionstag am 2. Oktober.“

 

[1] Aus: http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_12.html – abgerufen am 4. August 2014

[2] Aus: http://doku.iab.de/kurzber/2014/kb0714.pdf – Seite 1 – abgerufen am 4. August 2014 (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung)

[3] M. Seithe

[4] Aus: http://www.zeit.de/online/2006/20/Schreiner – abgerufen am 4. August 2014

[5] Aus: http://www.youtube.com/watch?v=sYfkkrRpcIY – ab Min. 30:55 – abgerufen am 4. August 2014

[6] Aus: http://www.zeit.de/2003/23/soziale_Gerechtigkeit – abgerufen am 4. August 2014

[7] Aus: http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/15/15032.pdf – abgerufen am 4. August 2014

[8] M. Seithe



Kategorien:Arbeitsmarktpolitik, Hamburg

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