„Job-Center sind nah an Überforderung“ (Rheinische Post 3. März 2013). Eine Überschrift, die mich hoffen ließ und vermutlich viele weitere Leser ebenso. Herr Vize-Chef Heinrich Alt gibt ein erneutes Debüt ab. Bedeutet der Begriff Debüt ein erstes öffentliches Auftreten oder ein erster Versuch und ist ursprünglich aristokratisch geprägt, fehlt dem Interview mit Alt und der Rheinischen Post gänzlich dieses.
Bürokratiekosten eines elaborierten Sozialstaates
Alt beklagt zu hohe Bürokratiekosten. Ein erneuter Hoffnungsschimmer. Nicht jedoch der Aufwand, um die Leistungsbezieher zu verwalten wird bemängelt, sondern die “Unverschämtheit“, dass die Betroffenen oft zu schnell auf höhere Leistungen klagen. So beschäftigen sich diese zu viel mit dem Thema der komplizierten Leistungsgewährung. Ein Teufelskreis entsteht, weil nämlich nur durch diese auch die Sachbearbeiter sich damit beschäftigten müssten, anstatt mit der wichtigen Wiedereingliederung in Arbeit. Alt: „Die Idee war, 20 Prozent der Mitarbeiter in den Jobcentern für die Leistungsgewährung einzusetzen.“ „80 Prozent sollten helfen, Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.“ „Heute sind wir aber erst bei einer Quote von 50:50.“ Nicht der Einzelne macht die Summe, sondern die Summe aller macht die Gesamtsumme, die in den Jobcentern kaum mehr zu bewältigen ist.
Fazit:
Eine versteckte und doch offene Rüge an die Leistungsberechtigten. Nach dem Motto: Lasst uns weiter Geld einbehalten, auch wenn ihr Anspruch habt; lasst uns weiter munter sanktionieren, auch wenn über die Hälfte der Klagen für die Betroffenen stattgegeben werden. Und lasst uns nicht streiten, die scheinbare Harmonie ist doch so schön! Und warum es komplizieren, wenn es auch einfacher geht und es sicher auch wieder ungerechter wird. Seid bereit für etwas mehr Ungerechtigkeiten. Was interessieren mich die Hungernden, die Obdachlosen, die Berechtigten – mein Sessel in Nürnberg ist weich und kuschelig. Schließlich leben wir in einem elaborierten Sozialstaat.
Zwei Drittel haben ein Jahr oder länger Arbeit
Alt erwähnt, dass knapp zwei Drittel (62 Prozent) ein Jahr oder länger Arbeit haben. Angesichts von Zeitarbeit und befristeten Arbeitsverhältnissen ein relativ guter Wert. Die Erfolgsquote konnte in den vergangenen acht Jahren um mehr als 20 Prozentpunkte gesteigert werden. Und er greift nach Höherem: „Ich sehe aber noch Luft nach oben.“
Fazit:
Glaube nur einer Statistik, die du selbst gefälscht hast. Schreibt die Bundesagentur für Arbeit selbst im Jahr 2012, dass der Anteil der SGB II-Arbeitslosen am Bestand aller Arbeitslosen stieg. Die Strukturen im SGB II bleiben schwierig und die durchschnittliche Dauer vergleichsweise hoch. Und weiter schreibt sie, dass das SGB III (Anm. der Red. – Erwerbslose bis zu 12 Monaten oder 18 Monaten – altersabhängig) nur ein Drittel der Arbeitslosen stellt, aber zwei Drittel aller Beschäftigungsaufnahmen Arbeitsloser am ersten Arbeitsmarkt ausmachen.
Und ich frage Herrn Alt: Kann es sein, dass Sie zwischen dem SGB II (Hartz IV) und dem SGB III nicht unterscheiden können?
Bereits in meinem Artikel „Und die Bundesagentur für Arbeit schaut zu“, habe ich dieses Thema aufgegriffen und entsprechend erläutert.
Allerdings hebe ich die Aussage, dass Arbeitslosengeld-II-Empfänger im Job freiwillig begleitet werden, positiv hervor. Könnte durchaus erfolgreich sein, sofern der Coach unabhängig sein darf und ist. Darf dieser durch den „Jobaufnehmer“ frei gewählt werden, erkenne ich Potential.
Alt ist nicht gerne Monopolist
Auf die Frage hin, ob nur noch die Bundesarbeitsagentur (Anm. d.Red.: es heißt: Bundesagentur für Arbeit) für die Hartz IV-Bezieher zuständig sein solle, ist Alt bescheiden und lehnt eine neue Systemdebatte sowie die eigene Monopolstellung ab. Die Bundesagentur und die Kommunen sollen nach guten Wegen suchen, um Menschen erfolgreich in Arbeit zu bringen.
Fazit:
Neue Besen kehren vielleicht gut. Und eine neue Systemdebatte muss diskutiert werden. Das ist mehr als überfällig! Unabhängig der Diskussionen um das bedingungslose Grundeinkommen oder Mindestlohn, muss das System der Hartz IV-Schikanen, das Konstrukt der Jobcenter und die derzeitige Monopolstellung der Bundesagentur für Arbeit ohne Zweifel in Frage gestellt werden. Stellt es jetzt einen Hexenbesen mit schwarz gefärbten Borsten dar, könnte dann vielleicht eine weiche Zahnbürste daraus werden.
Das Interview ist komplett nachzulesen unter Rheinische Post
Quellen: Rheinische Post 3. März 2013; Statistik 2012 – Bundesagentur für Arbeit – S.5
Kategorien:Bundesagentur für Arbeit, Jobcenter
Auch ich habe meine Zweifel an den Zahlen, die Herr Alt hier nennt. Es entspricht einfach nicht der täglich gefühlten Wirklichkeit. Mich bringt aber gerade eine ganz andere Zahl fast um den Verstand… aus der monatlichen Statistik der BA: die Zu- und Abgänge in und weg von Arbeitslosigkeit pendeln montalich zwischen 500.000 und 700.000. Heisst das, dass alle Betroffenen jeweils nur 3-6 monatige Jobs finden und der Bestand an Arbeitslosen nach spätestens 6 Monaten einmal „rotiert“ ist? Im schlimmsten Fall „ja“. Und im günstigsten Fall, d.h. alle Abgänge finden dauerhaft Arbeit und alle Zugänge kommen aus dauerhafter Arbeit? Das würde bedeuten, bei 40 Millionen Erwerbstätigen und 0,5 Millionen ZUgängen pro Monat, dass spätestens nach 80 Monaten JEDER Erwerbstätige einmal arbeitslos war. Kann wohl auch nicht stimmen. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Aber Herr Alt’s Zahlen können nicht stimmen.
Meine täglich gefühlte Wirklichkeit sagt mir, dass auf jeden Fall mehr rotiert wird. Es sind nicht immer die gleichen 4,5 Millionen Menschen arbeitslos. Vielleicht sollte man mal eine Statistik erstellen, aus der hervorgeht, wieviele im letzten Jahr mal arbeitslos waren und sei es nur für eine Woche. Vielleicht kommt man dann auf eine viel viel größere Zahl (weit über 4,5 Millionen), da ja ständig rotiert wird, zumindest im prekären Bereich.
Hallo Frau Hannemann
Habe gerade erfahren das Ihr Termin abgesagt wurde!? Vielleicht schon ein erster Erfolg einer einsetzenden und erwachenden Solidarität der Bürger unseres Landes?
Von hier aus viel Kraft und weiterhin viel Mut und natürlich alles gute zum Frauentag am 8.März
Sehr geehrte Frau H.
Liebe Grüße aus Schwerin und viel Kraft auf Ihren weiteren Weg, gegen Amtswillkür und Sanktionen und für die Rechte der Menschen in unserem Land.Sie geben uns Hoffnung!
Trotz Ihrer heutigen Ladung zu Ihrem Arbeitgeber, bin ich mir sicher, dass Sie sich nicht verbiegen lassen werden. Wie Ihr Arbeitgeber schon richtig in der (Vor)Einladung schreibt, handelt es sich bei der Durchsetzung der SGB II Gesetze, wie hier genannt wurde, um einen (Straf)Vollzug, denn die Menschen im Leistungsbezug befinden sich in der Tat, in einer Art offenen Vollzug, mit Meldeauflagen, die man zu erfüllen hat, dazu darf man den ortsnahen Bereich nicht verlassen ohne Genehmigung der Jobcenter. Zudem dürften die SGB II Gesetze rechtswidrig sein, da sie die Menschenrechte der Bürger unseres Landes einschränken. Ab dem Jahr 1936 war es unseren jüdischen Mitbürgern auch verboten, bestimmte Plätze und Orte aufzusuchen und später auch bestimmte Berufe auszuüben.
Bleiben Sie wie Sie sind und geben Sie den Menschen weiterhin Hoffnung auf ein besseres gleichberechtigtes Leben in Deutschland, ohne Diskriminierung, ohne Sanktionen und ständigen sinnlosen Meldeauflagen. Lassen Sie mich, diesen Beitrag mit einem Zitat von Benjamin Franklin schließen:
„Ein wahrhaft großer Mann wird weder einen Wurm zertreten noch vor dem Kaiser kriechen.“
Reblogged this on monopoli und kommentierte:
Märchenstunden dieser Art sind doch normal, solange man den Schwarzen Peter den Schwachen in die Schuhe schieben kann, wenn die aufmucken, werden sie halt solange schikaniert bis sie Mundtot sind.
So kann man es auch machen. Wer selbst keine Arbeit mehr findet, bewirbt sich bei der Bundesagentur für Arbeit. Wer nicht mehr gefordert werden will, versteckt sich unter dem Kittel einer Ursula von der Leyen und fordert jetzt selbst. Ich sag doch, dass System ist krank.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/reportage/2028242/
Job-Center sind nah an Überforderung.
Welch wunderbare Nachricht! Liebe Betroffene, stellt viele Anträge, legt oft Widerspruch ein und erhebt gegebenfalls Klage gegen die standardisierten Ablehnungsbescheide.
Den Jobcentern fällt ihr eigenes System auf die Füße, und dann ist der Spuk bald zu Ende!
Grundgesetzkonforme Anleitung für die Mitarbeiter in den Jobcentern:
1. Schaffen Sie zunächst eine Vertrauensbasis zu ihren Kunden und laden Sie die Arbeitsuchenden ohne Sanktionsandrohungen in ihre Räume ein. Wenn sie/er nicht erscheint, lassen Sie sie/ihn einfach in Ruhe. Sie/er wird Gründe dafür haben.
2. Wenn sie/er erscheint, erklären Sie dem Kunden, (um dem Kundenbegriff gerecht zu werden) warum Sie heute für ihn eine gute Nachricht haben. Wenn Sie zu diesem Zeitpunkt keine gute Nachricht für ihren Kunden parat haben, sollten Sie als FallmanagerRin schnellstmöglich ihr eigenes Profil profilieren.
3. Erklären Sie dem Kunden, warum sie/er als Fachkraft (falls Ausbildung) in näherer Umgebung seines Wohnortes wegen Fachkräftemangels dringend gebraucht wird.
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2013/02/25/a0068
ich könnte jetzt endlos weitermachen. Tue ich aber nicht. Wer immer noch in Zeiten der größten Wirtschaftskrise in Europa glaubt, es gäbe genug Arbeit, aber die Arbeitsuchenden wollen nicht, hat ein Rad ab.
Der Artikel spricht mir aus der Seele 😉 und zum Besen: die Treppe muss von Oben gekehrt werden, nicht von unten.
Dass die Mitarbeiter in den Jobcenter nah an der Überforderung stehen, mag ich gerne glauben, denn die immer neuen Richtlinien, wie man die Kunden, noch mit Sanktionen „bedienen“ kann, werden immer vielfältiger und perfider. Schließlich dient schon jede strafbewehrte Ladung alleine dazu, den Widerstand
der Betroffenen gegen das Hartz-IV-System und seinen Zwang zur Leiharbeit, Werkvertragsarbeit, Bürgerarbeit und Ein-Euro-Jobs zu brechen, um den Niedriglohnsektor und das teilweise Outsourcing der Verwaltung und Vermittlung der Arbeitslosen und Niedriglöhner auf die Leiharbeits-, privaten Arbeitsvermittlungs- und Werkvertragsbuden durchzusetzen. Arbeitsplätze schafft man mit diesem rüden Zwangssystem nämlich keine; dazu bräuchten wir eine massive Arbeitszeitverkürzung. Hartz-IV dient nur dazu, das Lohnniveau durch mittelbaren Arbeitszwang auf das für Arbeitgeber rentable Mininiveau zu bringen, ihnen grenzenloses Hire & Fire zu ermöglichen und die rigorose Vernichtung von anständig bezahlten Arbeitsplätzen zu beschleunigen. Die Hartz-Gesetze hatten hier die Wirkung eines fetten Brandbeschleunigers.
Wir hatten im Land laut Statistik der GSA e.V. bereits in 2011 rund 17.410.000 Arbeitslose und Unterbeschäftigte, denen 23.988.000 Vollzeitbeschäftigte gegenüber standen. Und dabei lag der Nettorealverdienst bei Einführung von Hartz-I im Jahr 2003 bei 95,5 Prozent des Nettorealverdienstes von 1993 (Index 1993=100), im 2011 gerade noch bei 93,4 Prozent des Nettorealverdienstes von 1993. Die wirtschaftliche Lage der Arbeiter und Angestellten hat sich also objektiv seit Einführung von Hartz I im Jahr 2003 verschlechtert.
Welcher perfider Methoden sich die Arbeitsagenturen bedienen zeigt ein Beispiel aus Rostock, da kamen zu einer Arbeitsmarktmesse „Nur (h)ier!“ an einem Freitagnachmittag, angeblich 8000 Freiwillige zur Messe. Nach meiner Recherche und nach Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz an die zuständige Arbeitsagentur, stellte sich raus, das Tausende Einladungen, mit einer Rechtsmittelbelehrung verschickt wurden und dies von sämtlichen Arbeitsagenturen im Umkreis. Derartige Praktiken erinnern mich an eine der dunkelsten Zeiten unserer Geschichte. Die ganze Geschichte gibt es hier: http://www.myheimat.de/rostock/politik/rostock-arbeitsmarktmesse-arbeit-hier-d2475975.html