Alltag im Jobcenter

Die Medien schreiben es, die Mitarbeiter der Jobcenter bestätigen es. Das Arbeiten in einem Jobcenter, die Betreuung der Langzeitarbeitslosen, Hartz IV-Empfänger macht krank. Laufende Krankmeldungen der Mitarbeiter aus psychischen Gründen wie Ausgebranntsein oder psychosomatischen Erkrankungen wie Rückenprobleme treffen täglich ein. Schreiben die Medien auf der einen Seite von Überforderung der Jobcentermitarbeiter durch eine zu hohe Anzahl an Kunden, schreiben sie andererseits, dass Hartz IV krankmacht. Was ist wahr?

Ein Tag im Jobcenter

Stellen wir uns mal einen üblichen Arbeitstag in einem Jobcenter vor: Je nach Arbeitszeitstatus müssen drei bis sechs Kunden eingeladen werden. Zumeist wird die Höchstzahl eingeladen, um so eine „Trefferquote“ von zumindest 50 Prozent an Kunden zu erreichen, welche auch erscheinen. Diese Quote wird über das zentrale System der Bundesagentur für Arbeit (Verbis) über einen Beratungsvermerk registriert. In diesem Augenblick erkennt und rechnet das System die persönlichen Vorsprachen. Je nach Status des Kunden, „arbeitslos“, „arbeitssuchend“, „ratsuchend“ oder „Status nicht gesetzt“ wird eingeladen. So müssen arbeitslose registrierte Bewerber monatlich erscheinen. Arbeitsuchende alle drei Monate und die Restlichen alle sechs Monate. Wer sind die Restlichen: werdende Mütter, laufende Elternzeit von drei Jahren, Schüler, mangelnde Mitwirkung bei Nichterscheinen innerhalb von sechs Wochen, Häftlinge, Kranke über sechs Wochen sowie Auszubildende. Ein-Euro-Jobber, Teilnehmer in Bildungsmaßnahmen oder Praktikum werden arbeitsuchend geführt.

Ein Jobcentermitarbeiter hat rund 500 Kunden

Hat ein Mitarbeiter nun rund 500 Kunden, so sind oftmals die Hälfte davon „arbeitssuchend“ oder „Status nicht gesetzt“. Somit bleiben rund 250 Kunden, die einmal im Monat erscheinen müssen. Bei 20 Arbeitstagen wären dieses 12,5 Einladungen täglich. Bei den regulären vierstündigen Öffnungszeiten am Vormittag wären dieses drei Kunden pro Stunde. Das machen zwanzig Minuten pro Kunde. Zwanzig Minuten für ein Gespräch, idealerweise einer kompletten Evaluierung der aktuellen Situation plus dem Schreiben des Beratungsvermerkes. Möchte der Kunde zusätzlich die Übernahme der Kosten für Bewerbungen oder gar womöglich einen Bildungsgutschein, so reduziert sich das Gespräch auf maximal fünf Minuten. 15 Minuten werden im Schnitt für den Ausdruck und Erläuterung der Anträge benötigt. Selbstverständlich muss anschließend eine neue Eingliederungsvereinbarung (EgV) geschrieben werden. Schließlich geht man als Kunde mit dem Jobcenter einen Vertrag ein. Und das muss beiderseits schriftlich festgehalten werden. Auch hier gilt: Quote ist alles. Sind doch 96 Prozent zu erfüllen.

Dabei gilt: Erst nach Antritt einer Maßnahme, sei es eine Weiterbildung oder ein Ein-Euro-Job, wird dieses in der EgV aufgenommen. Ist ja eigentlich auch logisch. Schließlich geht man in der freien Wirtschaft auch davon aus, dass bei Erhalt der Ware ein Kaufvertrag zustande gekommen ist. Zuvor darf nämlich auf Lieferverzug oder Mängel hingewiesen werden. Oder auf der Lieferantenseite auf Zahlungsverzug – und so lange bleibt die Ware Eigentum des Lieferanten oder Herstellers. Gut, der Kunde ist kein Eigentum, keine Ware und ein Zahlungsverzug kommen in der Arbeitsvermittlung auch nicht auf. Das kann schon eher in der Leistung passieren. Aber das ist ein anderes Thema.

Listen, allüberall

Neben all diesen Berechnungen scheint es logisch, dass die Anzahl der Vermerke nicht erfüllt werden kann. Nun sind die Einladungen eine Sache, die täglichen Listen eine andere. Listen für Maßnahmebesetzungen, Ein-Euro-Jobs, Vermittlungen, sonstige Fördermodelle, Anzahl der Kunden nach Status sind ein kleiner Teil der rund täglich eintreffenden 20 bis 40 Mails. Allerdings frage ich mich immer wieder, was interessier, wenn ein Schlüsselbund in Bayern verloren geht und ich befinde mich mehr als 500 Kilometer entfernt. Wieder Zeit, die für das Lesen von Unwichtigkeiten verloren geht. Ach ja, und die Werbemails der Träger mit ihren Angeboten. Reichen die Flyer nicht? Selbstverständlich sind tägliche oder wöchentliche Dienstbesprechungen angesetzt. Erneut zwei Stunden, die von den Arbeitszeiten abgehen – und selbstverständlich werden diese zumeist vormittags angesetzt. Allerdings gibt es auch Bundesländer, in denen ein Tag das Jobcenter geschlossen hat. Keine Kunden, die tägliche Kundenanzahl erhöht sich damit. Wir erinnern uns: rund 250 Kunden müssen monatlich eingeladen sein.

Der Nachmittag – Zeit für die Kunden?

Der Vormittag ist geschafft. Es folgt der Nachmittag. Zeit für die Mails, Zeit für die Listen, Zeit für Besprechungen oder Zeit für Arbeitskreise. Je höher die Anzahl der Teilnahme an Arbeitskreisen, kann vermutet werden, desto höher die Chance auf Beförderung. Teamleiter mit rund 150 Euro brutto mehr im Monat.

Wo bleibt die Zeit für die Kunden? Eigentlich ideal, um nun in Ruhe auf Arbeitssuche zu gehen. Bei Firmen vorzusprechen, anzurufen und Bewerbungen der Kunden zu versenden.

Arbeitsvermittlung ist nicht die Aufgabe des Arbeitsvermittlers

Halt, Stopp! Das ist nicht die Aufgabe eines Arbeitsvermittlers. Das ist die Aufgabe des Arbeitgeberservice (Ags). Eine interne Abteilung für Kunden und Arbeitsvermittler. Für den Kunden heißt dieses, er erhält von dort die sogenannten Vermittlungsvorschläge – kurz gesagt – die Stellenangebote. Für den Arbeitsvermittler heißt es, der Kunde wird im Hause herumgeschickt, um beim Arbeitgeberservice seine Bewerbung oder eben den Vermittlungsvorschlag abzuholen.

Grundsätzlich eine gute Idee. Wenn für den dort tätigen Arbeitsvermittler die Möglichkeit bestünde, in die Vermerke der Kundenberater einzusehen. Nichts ist unmöglich – aber das schon.

Fazit: der vermittelnde Arbeitsvermittler des Arbeitgeberservice kennt den Kunden weder persönlich noch kann er relevante Informationen über das System erfahren. Eine Vermittlung ins Blaue. Vielleicht mag von daher rühren, dass die Kunden Stellenangebote erhalten, von einem Menschen, den sie nicht kennen. Stellenangebote, die oftmals weder auf die Ausbildung oder beruflichen Erfahrungen passen, geschweige denn auf den Menschen. Aber darum geht es ja auch nicht. Ziel: Reduzierung der erhaltenen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II). Und sei es, dass Schüler mit 15 Jahren Zeitungen austragen. Und sei es, dass aufgrund des Nichtbewerben Sanktionen erfolgen und damit das Arbeitslosengeld II reduziert wird.

Und nun bitte ich Kundennummer 123A456789, mir die Eigenbemühungen der Bewerbungen vorzulegen.

In diesem Sinne kann ich den Ärger der Kunden, aber auch den Frust der Mitarbeiter verstehen. Eine große Portion Idealismus für die Arbeit und deren Rahmenbedingungen ist erforderlich – und zwar auf beiden Seiten.

Dieser Bericht gewährt keine Garantie auf Vollständigkeit. Dazu benötigt es ein Buch.

Die Autorin arbeitet seit über 14 Jahren mit Arbeitslosen und seit Beginn der Jobcenter 2005 als Arbeitsvermittlerin / Fallmanagerin in solchem.



Kategorien:Arbeitsmarktpolitik

Schlagwörter:, , , ,

  1. C’est la vie !

    Es ist schon krass, wenn ich das so lese. Wirklich alles. (ich lese ja nur nach und nach Deinen Blog und zeitlich auch immer viel zu spät)……. :/

    Das erinnert mich an meinen alten Job, für einen großen Konzern, mit Kunden…bzw. mit Kundennummern..ich hatte Fälle. Nichts anderes.
    Da ich auf Qualität arbeitete, schaffte ich die Quote/Zeit nicht, bin dann oft an den WE arbeiten gegangen, wenn ich durfte…unentgeltlich. Zeit wurde gut geschrieben, die ich aber meist nicht nehmen konnte und durfte..weil zuviel Arbeit, zu viele Kunden, jeder neue Fall hieß Geld für den AG. Da kann ja ein AN nicht gehen…(ich selbst bin bei 40-60 Std. Woche mit so wenig Geld nach Hause gegangen, das ich später aufstocken musste…)
    Wollte die Kunden noch „abarbeiten“ und alle Fälle schließen, bevor ich ausgestiegen bin…
    Als ich nach der Reha wiederkam, waren noch über 500 Fälle von mir offen. die keiner gemacht hat. Weil man offene Fälle nicht bearbeiten durfte. Immer nur neue ziehen…und die anderen damit ihre Quote auch nicht geschafft hätten…so hieß es jedenfalls intern…
    Und die Kunden alle zum Rechtsanwalt gingen…und natürlich verloren haben, das zeigt auch, „wie wichtig Kunden“ für manche Firmen“ sind..

    Es gab eine Kundin, das/diese werde ich nie vergessen, die wollte nur von mir beraten werden. Das ging so lange gut, bis ich abgehört wurde und dann vom TL ein Anruf an die Kundin getätigt wurde. Und ich hatte einen Fall weniger. Und Stress ohne Ende…gute Arbeit wurde eben nicht gewürdigt.

    Und falls man mal Urlaub hatte, hatte man entweder die Fälle davor alle chronologisch geschafft oder chronologisch auf Wiedervorlage gesetzt oder man ging schon gestresst in den Urlaub, weil man wusste, wenn man wieder kommt, hat man die doppelte und dreifache Arbeit. Die ganze Zeit meines Arbeitens dort war nur: burn, burn, burn…………….
    P.S. Die Anzahl Deiner Emails sind ja schon fast niedlich 😉

    Als ich Ende letzten Jahres dort meine Sachen abgegeben habe, standen da wirklich noch ehemalige Kollegen, die nach 5 Jahren dort immer noch tätig sind. Weil sie ihre Quoten seit Jahren erfüllen und wohl damit glücklich sind….und ich hab stolz den Saal verlassen!

    Ich war damals wirklich gefangen im Job. Und bin es jetzt mit H4. Aber, einen Unterschied gibt es.
    Ich kann über meinen Unmut jetzt endlich schreiben. Mich engagieren. Was tun. Das konnte ich vorher nicht!
    Und ich bin mir sicher, dass ich auch diesen Ausstieg meistern werde!!!

    P.S. Ich würde es befürworten und wünsche es Dir, wenn Du in Deiner Arbeit bleiben kannst, bezweifle jedoch, dass Du dort (drin-allein) wirklich was dagegen ausrichten kannst. Glaub, die Menschen brauchen Dich in der Öffentlichkeit! 🙂

    So long………….

  2. Ein 15 Jähriger soll in Arbeit vermittelt werden, ist es nicht logischer ihn, nach erfolgreichen Schulabschluss ins Abitur, oder in die Ausbildung zu schicken? 😀

  3. Grundsätzlich hat die Autorin Recht, indem sie sagt, dass die Arbeitsbelastung sehr hoch und die eigentliche Aufgabe Arbeitsvermittlung oftmals zu kurz kommt.

    Dennoch sind viele der genannten „Fakten“ nicht richtig, vielleicht sind sie aber auch nur überspitzt dargestellt, um das Problem deutlich zu machen.

    Exemplarisch möchte ich folgende Anmerkungen machen:
    1. kein Arbeitsvermittler hat 250 Kunden, die monatlich (!) erscheinen müssen (ansonsten ist etwas mit der generelle Besetzung des Teams nicht in Ordnung)
    2. eine EGV ist grundsätzlich vor Beginn einer Maßnahme abzuschließen, sonst ist sie nicht gültig und eine Teilnahme des Kunden nicht verpflichtend
    3. Vermittlung ist nicht ausschließlich Aufgabe des AGS, es ist jedem Vermittler jederzeit möglich (auch per Post) passende Stellenangebote für den Kunden herauszusuchen und auszuhändigen (zuzusenden) -> dieser Vermittler kennt seine Kunden dann natürlich auch

    Richtig:
    – Unmengen an überflüssigen Emails (insb. „Werbung“), Listen
    – viel zu wenig Zeit für die Kunden

    • Guten Tag johnmcmove
      Vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Allerdings möchte ich folgendes festhalten.

      1. 250 Kunden und mehr ist nichts unübliches. Ich selbst hatte als Teilzeitkraft über 400.
      Die generelle Besetzung des Teams ist aufgrund des fehlenden Personals leider oftmals nicht in Ordnung. Dieses mag mit Sicherheit aufgrund der hohen Krankenquote herrühren, jedoch auch wohl aufgrund der steigenden Zahlen der Hartz IV-Empfänger.

      2. Bei der EgV Unterzeichnung verweise ich auf Rz. 31.6a sowie einer internen Weisung

      3. Selbstverständlich kann jeder Arbeitsvermittler dem Kunden einen sog. Vermittlungsvorschlag / Stellenangebot in die Hand drücken. Hier ging es in dem Artikel jedoch nicht darum. Eher wird festgestellt, dass ein AV nicht das Recht hat, auf eigene Faust für den Bewerber Arbeit zu suchen. Dort direkt vorzusprechen – sei es telefonisch oder mit dem Arbeitslosen – um dann nach diesem Kontakt die Bewerbungsmappe zuzusenden. Mehr als häufig erlebe ich es, dass Kunden vom Arbeitgeberservice Vorschläge erhalten, die weder auf das Profil noch auf den Kunden passen. Als AV müsste ich dann sanktionieren, weil sich der Bewerber nicht bewirbt. Der Bewerber versteht jedoch die Welt nicht mehr so recht, weil ein neuer Name auf dem Vermittlungsvorschlag steht. Mit Glück ruft er beim AV an – mit Glück, sagt dieser: „Ok, passt nicht wirklich“ und wird als „nicht geeignet“ konsolidiert. Sinn macht es zumeist jedoch nur, wenn Kontakt zum AG besteht, der Bewerber an die Hand genommen wird, um dann einen erfolgreichen BW-Prozess in die Wege zu leiten.

      LG

%d Bloggern gefällt das: